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Posthuine Selbstkritik.

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Warum nur üben wir uns so gerne im Bekennen fremder Schuld? Was macht es so faszinierend, andern das Gewissen zu erforschen? Worin liegt die Befriedigung, wenn wir wieder einmal andern an die Brust geschlagen haben? Was macht den subtilen Lustgewinn aus, fremde Vergangenheit bewältigt zu haben?

Da bereuen Vierzigjährige die Sünden ihrer Väter, Kirchenmänner des 20. Jahrhunderts zerknirschen sich für den Fall Galilei, und wohlmeinende Kritiker verlangen, die Kirche müsse sich für 2000 Jahre Männerherrschaft und Frauenfeindlichkeit entschuldigen.

Als ob nicht die beste Reaktion auf die Sünden der Väter darin bestünde, sie nicht mehr zu begehen, als ob es nicht im Sinne Galileis wäre, künftig offener und lernbereiter mit der Wissenschaft umzugehen. Und als ob es nicht mehr wert wäre, als alle öffentlichen Selbstbezichtigungen, wenn die Kirche hinfort ihr männerbündisches und frauenfeindliches Gehabe revidierte.

Was macht nur diese nutzlosen Gesten posthumer Selbstkritik so attraktiv? Ist es vielleicht die subtile Selbstgefälligkeit, vor dem Hintergrund irrender und fehlender Vorfahren umso glänzender dazustehen? Verdrängen wir vielleicht damit die Angst, daß sich spätere Generationen für unsere Dummheiten und Bosheiten ähnlich schämen müßten, wie wir uns manchmal der Altvorderen genieren? Wer sicher ist, mit seinen sämtlichen Sentenzen in den Himmel unsterblich-unfehlbarer Geister einzugehen — so ließe sich das Bibelwort variieren — der werfe den ersten Stein.

Oder als Nutzanwendung vom Splitter im fremden und vom Balken im eigenen Auge: öffentliche Selbstbezichtigungen nur für eigene Bos-und Dummheiten. Dafür den kleinen und privaten Bußgottesdienst für all die unerkannten Fehlbarkeiten vom Papst bis zum Kolumnisten.

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