Corona als Zeitgeist: Christmas*~

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Brigitte Quints Sohn ist schon eingetaucht ins neue Corona-Vokabular. Was Neurosen und Aristoteles damit zu tun haben, beschreibt sie in ihrer Kolumne.

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Brigitte Quints Sohn ist schon eingetaucht ins neue Corona-Vokabular. Was Neurosen und Aristoteles damit zu tun haben, beschreibt sie in ihrer Kolumne.

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In der Vorschule lernt mein Sohn gerade Gegensätze. Seither haben wir ein neues Spiel. Ich sage „kalt“. Er „heiß“. Ich sage „dunkel“. Er „hell“. Ich sage „Tag“. Er „Nacht“.

Letztens habe ich ihn gefragt, was das Gegenteil von „Urlaub“ ist. Ich habe „Arbeit“ erwartet. Stattdessen sagte er „Quarantäne“. Ganz eindeutig eine Zeitgeisterscheinung. Der Begriff Quarantäne zählte vor einem Jahr noch nicht einmal bei allen Erwachsenen zum aktiven Wortschatz, der beim deutschsprachigen Durchschnittssprechenden auf maximal 16 000 Wörter geschätzt wird.

Das Denken in Polaritäten ist ja eigentlich nicht mehr en vogue. Dass Mann automatisch das Gegenteil von Frau ist, würden heutzutage nicht mehr alle unterschreiben. Ob sich Gesundheit und Krankheit tatsächlich diametral gegenüberstehen, ist ebenso umstritten. Dasselbe gilt für Normalität und Neurose. Was ich nur bestätigen kann. Selbst Yin und Yang widersprechen sich nicht wirklich. Sie ergänzen sich.

Bereits Aristoteles hat sich dagegen ausgesprochen, sich an irgendwelche Pole zu klammern. Ein gutes Leben bedeutete für ihn Mesotes – die goldene Mitte. Man soll sich dort einpendeln, wo man sich wohl fühlt. Bezogen auf die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage dürfte das im Coronajahr 2020 irgendwo zwischen Quarantäne und Urlaub liegen. Vielleicht nach dem Motto „Christmas*~“ – der „Stern von Bethlehem“ als Analogie zum Gendersternchen. Ein vernunftgesteuertes Fest, in dem die Bedürfnisse des Einzelnen soweit möglich berücksichtigt werden, ohne gleich ein Superspreader-Event auszulösen.

Von mir aus könnten wir das auch nach der Impfung beibehalten. Aber man will ja nicht polarisieren.

Lesen Sie auch die Quint-Essenz "Trost mit Hut" oder "Grüß Gott, Sie Flegel!".

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