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Der Spruch

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„Es schlägt die Stund', Gott steh' mir bei, Daß diese Stund' glückselig sei.. So lehrte mich ein frommer Mund Zu beten, wenn es schlägt die Stund'. Ich stand und hörte wohl das Wort, Doch im Gedanken zog's mich fort: Das Leben ward mir noch ein Traum — Die Stund', die schlägt, begriff ich kaum. Zum Fenster sah ich sehnend hin — Es blühte draußen der Jasmin, Die Sonne schien, ein Vogel sang —: Den kühlen Klostergang entlang Ein Schritt verklang.

Die Zeit verging. — Wie lang ist's her,

Daß ich der Worte dacht' nicht mehr?

Des Lebens Sommer war voll Not,

Ich kämpfte um mein täglich Brot.

Und wieder ich am Fenster stand,

Als ich des Spruches Mitte fand:

„— und wenn erst kommt die letzte Stund',

So bitt ich dich mit Herz und Mund...“--

Ich sah den roten Mohn verblühn.

Die goldne Sonne sank dahin —

Da ward ich still — es rauscht' der Wald,

Ein kühler Wind strich durch die Haid'

Und ich ward alt.

“s kam so sacht und doch so jäh Des Lebens Winter. Weißer Schnee Mir schon auf Schlaf und Scheitel lag. Des Lebens Freuden wurden karg. Zur Erde sich mein Rücken bog. Das Aug' ward blind, das Ohr betrog. Da rang sich los die letzte Bitt', Dieweil mein Leben mir verglitt: „Nimm meine Seel' in Gnaden an Und führe sie dann himmelan Zu End' der Spruch, zu End' die Zeit Und über stillen Hügeln weit Glänzt Ewigkeit.

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