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Rache ist eine weit verbreitete Antwort

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In der Krajina herrscht heute Terror. Die serbische Krajina zerteilt Kroatien. Fanatiker reagieren mit Racheakten.

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In der Krajina herrscht heute Terror. Die serbische Krajina zerteilt Kroatien. Fanatiker reagieren mit Racheakten.

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Crno, Murvica, Smoko-vic, Islam Grcki, Islam Latinski, Rupalj - nicht nur Wohnhäuser, Kirchen, Schulen sind zerstört; auch die Weingärten, Pinienhaine, Kukuruzfelder und Weiden sind verbrannt. Schwarze Rebstöcke säumen kilometerweit die Straße, beizender Rauch zieht aus glosenden Waldstücken.

Phosphorgranaten haben eingeschlagen, niemand kümmert sich um die Waldbrände. Was sind schon verbrannte Weinstöcke und Räume für Menschen, die knapp Massakern entkommen sind, tote und verwundete Angehörige betrauernauf der Flucht sind?

Und wen wundert es, wenn nun kroatische Fanatiker ver-

lassene serbische Weekendhäuser - Hunderttausende haben sich im ehemaligen Jugoslawien ihren Zweitwohnsitz an der Adriaküste hingebaut - sprengen, verbrennen, plündern? Die Mehrheit der Kroaten verurteilt Racheakte, doch niemand stoppt sie.

Auf der kroatischen Seite in der Krajina (über den serbisch beherrschten Teil siehe FURCHE 42) sind Minen das Hauptproblem: Auf ihrem Rückzug haben die Serben _, überall Minen vergraben, in Gärten, auf Wegen, vor Hauseingängen und Auffahrten.

In Zadar hat es seit Kriegsausbruch kaum mehr Unterricht für die Jugendlichen gegeben. Schullektionen wurden via Rundfunk ausgestrahlt, aber Siebzehnjährige kümmern sich kaum um Grammatikregeln, wenn Verwandte an der Front sterben. Über die

Deutschprofessorin Vjesna, die in Zadar unterrichtet, lerne ich die Familie Kardum kennen, die ein besonders schlimmes Schicksal heimsuchte: am Heiligen Abend des Vorjahres schlug eine Mörsergranate im Vorgarten

der Familie ein. Der Vater war eine Stunde zuvor an die Front gegangen, die Mutter und der dreijährige Sohn Ante lagen im Bett. Der Kleine hatte im Schlaf sein linkes Bein über den Oberkörper seiner Mutter gestreckt. Ein einziger Granatsplitter riß Ante das Bein ab und drang der Mutter in die Brust. Sie war sofort tot, Ante überlebte.

Mit Vjesna besuche ich die Familie Kardum. Ante kommt uns mit einer Beinprothese entgegen, die in einer Spezialklinik in Deutschland angefertigt wurde; der Dreijährige wächst ja und die Prothese muß verstellbar, vergrößerbar sein. Sein Vater wurde aus der Armee entlassen und arbeitet jetzt als Busfahrer in Zadar. Ob er den Serben jemals verzeihen, mit ihnen wieder zusammenleben wird können, wagt niemand zu fragen. Er zeigt das Bild seiner toten Frau, sie war neunzehn Jahre alt. Ante will die Bilder nicht sehen. Er ist böse auf seine Mutter, erklärt mir Vjesna; er glaubt, sie habe ihn einfach verlassen und sei auf und davon gegangen.

Kroatien ist heute der serbisch beherrschten Krajina wegen ab Zadar vom südlichen Dalmatien mit Split und Dubrovnik getrennt. Nur über die Insel Pag, auf Nebenstraßen, desolaten Brük-ken und Fähren ist eine Ver-

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