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Schewardnadse: Altbekannte Klagen, neue Einsichten

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Was der seinerzeitige, in der Öffnung der UdSSR nach Westen so erfolgreiche sowjetische Außenminister, jetzt als gefragter Referent im Westen sich gut verkaufende Privatmann Eduard Schewardnadse dieser Tag in Wien von sich gab, war für Österreich erfreulich, teils altbekannt, teils erstaunlich.

Wenn ein Mann mit der Reputation eines Schewardnadse dem kleinen Österreich anerkennend bezeugt, mit der großen Sowjetunion die Verhältnisse gut geregelt zu haben, dann ist das mehr als eine bloße Bauchpinse-lung. Österreich sollte damit aufmerksam gemacht werden, nicht gleich wegen seiner Kleinheit Abstand von „Hilfen für Gorbatschow” - wie ein terminus technicus zur Überlebenshilfe der Perestrojka heute lautet -zu nehmen. Österreich darf und sollte sich auch auf dem weiten Feld der Sowjetumgestaltung nicht als Zuschauer gerieren.

Altbekannt sind die Klagen über den langsamen Fortgang des wirtschaftlichen

Umgestaltungsprozesses in der Sowjetunion, über die Unmöglichkeit, den gigantischen Rüstungsapparat rasch umzustrukturieren, und über die Aussichtslosigkeit, das Nationengemiich Sowjetunion politisch zusammenzuhalten.

Schewardnadse - obwohl kein Ökonom -geht in seinen Forderungen nach Einführung der Marktwirtschaft viel weiter als etwa der Wirtschaftsfachmann Leonid Abalkin, der. noch von einer sozialistischen Marktwirtschaft träumt und damit potentielle Investoren aus dem Westen schreckt.

In Kissingers Fußstapfen

Erstaunlich ist bei Schewardnadse die eher positive Einschätzung des jetzigen Zustandes der Perestrojka, seine Zurücknahme früherer Warnungen vor.einem möglichen Abdriften des Gorbatschow-Experiments in eine Militärdiktatur. Man fragt sich, was den Realpolitiker eigentlich bewogen haben mag, seine Demission als Chef des Sowjet-Außenamtes einzureichen. Wenn ein Politiker wie Schewardnadse, dessen Sprache noch immer vom alten, eher nichtssagenden Polit-Floskel-Stil geprägt ist, jetzt so sehr um Demokratisierung über eine starke Opposition in der Sowjetunion kämpft, warum scheut er seinen persönlichen Einsatz?

Schewardnadse registriert eine Unumkehrbarkeit des neuen politischen Kurses in der Sowjetunion und seine Akzeptanz bei der Bevölkerung. Der frühere Außenminister, der jetzt die Annehmlichkeiten eines gefragten Experten in den Fußstapfen eines Henry Kissinger - niemand sollte es ihm verdenken -zu lukrieren sucht, wird sich wohl die Frage gefallen lassen müssen, warum er zur politischen Umsetzung seiner Einsichten nicht bereit ist.

Der Westen wird sich angesichts der dramatischen Veränderungen in der UdSSR, die gefährliche Konsequenzen für Europa haben könnten, die Frage stellen müssen, ob er es beim wohligen Zuhören bewenden läßt oder tatsächlich - nach x-maligen Lippenbekenntnissen dazu - der Sowjetunion bei ihrem Hauptproblem, dem wirtschaftlichen Wiederaufbau zu helfen bereit ist.

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