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Glasnost und Kooperation

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Um die Zukunft der kommunistischen Staaten ging es bei einem Symposion in München. Einer der Referenten war der Marxismus-Experte Wolfgang Leonhard.

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Um die Zukunft der kommunistischen Staaten ging es bei einem Symposion in München. Einer der Referenten war der Marxismus-Experte Wolfgang Leonhard.

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FURCHE: Glasnost, Perestrojka und Demokratisierung sind die drei Grundbegriffe der Reformen in der Sowjetunion. Ist das Taktik zur Erhaltung des realen Sozialismus?

WOLFGANG LEONHARD: Das Ziel der von Michail Gorbatschow eingeleiteten Reformen besteht darin, das System moderner, geschmeidiger und transparenter zu machen. Ich habe keinen Zweifel, daß das ernst gemeint ist.

Es gibt einen Flügel in der kommunistischen Partei der UdSSR, besser gesagt, eine Strömung nachdenklicher, kluger Funktionäre, denen Glasnost und Perestrojka dringend notwendig erscheinen. In der Führung sind das Gorbatschow, Außenminister Eduard Schewardnadse und die Politbüromitglieder Jegor Ja-kowlew und Viktor Nikonow, der für die Landwirtschaftsreform zuständig ist.

Ich lehne jede Auffassung, die meint, das sei nur Taktik, rundheraus ab. Gleichzeitig warne ich aber davor zu glauben, daß Gorbatschow der unbestrittene Führer der Sowjetunion ist und jede Reform lustig und fröhlich verwirklicht wird. Davon kann leider nicht die Rede sein.

FURCHE: Professor Michail Voslensky hat hier bei dem Symposion festgestellt, daß sich der reale Sozialismus als Fortsetzung des Feudalismus so rasch nicht ändern und keineswegs im Chaos enden werde, wie manche Tagung sref er enten — etwa der aus der DDR emigrierte Rechtswissenschaftler Wolf gang Seiffert — meinten. Wie soll der Westen auf die Veränderungen in der Sowjetunion reagieren? Lohnt sich der Dialog?

LEONHARD: Innerhalb der politischen Kräfte der UdSSR erwarte ich schärfste Auseinandersetzungen. Ich rate daher zu einer differenzierenden Politik. Es wird notwendig sein, zwischen Führung und Bevölkerung zu unterscheiden.

Mit der Führung sollten realistisch mögliche Vereinbarungen im Bereich der Abrüstung, der technologischen und wirtschaftlichen Kooperation geschlossen werden. Der Westen muß aber gleichzeitig an die Bevölkerung des Riesenreiches denken und die Menschenrechte einmahnen.

Ich erwarte mir konkrete, gesetzlich verankerte Verträge bezüglich der Ausreisen und Be-süchsreisen sowie klare Bestimmungen für jene, die in der Sowjetunion bleiben wollen.

Im Westen sollte es eine deutliche Solidarisierung mit den Bürgerrechts- und Menschenrechtsbewegungen in der Sowjetunion geben. Je mehr wir über sie schreiben, desto mehr erleichtern wir ihre Rolle.

FURCHE: Stehen also die Zeichen nach den Phasen Kalter Krieg, Koexistenz und Taktieren auf Kooperation?

LEONHARD: Wir wissen um die Polarität zwischen Reformkräften und Gegnern und sollen uns da nicht einmischen. Wir haben aber das Recht zu erklären, daß wir - nach einem Erfolg der Perestrojka, der sich in einer Liberalisierung und gemäßigten Außenpolitik zeigen muß - bereit sind, die verbesserte Situation durch Verständnis und Kooperation zu beantworten.

Falls umgekehrt die Reformgegner die Oberhand behalten sollten, die Sowjetunion nach innen und nach außen einen härteren Kurs einschlagen sollte, dann müßten diese Kräfte die entschlossene Gegnerschaft der westlichen Welt zu spüren bekommen.

FURCHE:Soll der Westen Gorbatschow unterstützen?

LEONHARD: Die Reformkräfte gehören ermuntert, die AntiReformer deutlich gewarnt.

FURCHE: Hier auf dem Münchener Symposion wurde von General Harald Wust nachdrücklich vor der östlichen Bedrohung gewarnt. Sollte der Westen nicht auch das Sicherheitsbedürfnis im Osten berücksichtigen?

LEONHARD: Die Machtelite in der Sowjetunion ist darüber genügend informiert, daß es von Seiten des Westens keine Bedrohung gibt. Das ist nur ein Argument bestimmter Kräfte, die Feindbüder aufbauen, um einen härteren Kurs zu legitimieren. Gewisse beleidigende Äußerungen und Fehler der westlichen Politik reichen nicht dazu aus, eine Bedrohung der Sowjetunion seitens des Westens anzunehmen.

FURCHE:Für die kommunistischen Länder Osteuropas bildet der Nationalismus eine große Gefahr. In Westeuropa sucht man ihn zu überwinden, als Sprengsatz für Osteuropa scheint er allemal noch gut.

LEONHARD: Bis Gorbatschow erfolgte durch eine strikte Russi-fizierungspolitik eine Zuspitzung des Nationalitätenkonflikts. Vom Westen her sollte man den nichtrussischen Nationalismus nicht aufstacheln. Wir haben aber auch das Recht und die Pflicht, die Dinge sorgfältig zu untersuchen und größeres Verständnis für die nationalen Probleme der sozialistischen Staaten aufzubringen.

Mit Wolf gang Leonhard, Professor an der Yale University/USA, sprach Franz Gans-rigler.

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