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Schmerz tabulos

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„Der Schmerz“ von Marguerite Duras weckt zwiespältige Gefühle. Dieser bereits vor vier Jahrzehnten entstandene Text hat ohne Zweifel hohe literarische Qualität. Die fünf anderen Erzählungen in diesem Buch fallen dagegen deutlich ab.

Im „Schmerz“ erzählt die Duras die Geschichte ihres Wartens auf ihren nach Buchenwald deportierten Mann. Sie erzählt von ihrer inneren Konzentration auf seine Rückkehr und von ihrer Abneigung, die sie im Moment seiner Wiederkehr empfindet. Sie erzählt vom Verlust ihrer Zuneigung, als sie das zerstörte Bündel

Mensch, das kaum mehr lebensfähig ist, vor sich auftauchen sieht.

Das alles ist packend und beklemmend.

Gleichzeitig aber ist die minuziöse Beschreibung selbst der Farbe der Exkremente ihres Mannes Ursache des Zwiespaltes, in dem der Rezensent sich befindet. Die Duras kennt keine Tabus. Das mag man schätzen oder auch nicht. Wo die Mißachtung von Tabus dazu dient, bisher zu Unrecht Verborgenes einer zur Einsichtnahme berechtigten Öffentlichkeit zu offenbaren, dort läßt sich nichts einwenden.

Wenn jedoch intimste Zustände anderer Personen in einer Art von poetischem Voyeurismus ausgebreitet werden, wenn die qualvolle Erniedrigung eines Menschen bis ins letzte Detail zur literarischen Ästhetisierung verkommt, dann muß wohl doch die Frage gestellt werden, ob der Schutz der Verletzlichkeit eines anderen Menschen nicht Vorrang hat vor der schriftstellerischen Bewältigung des eigenen Versagens.

DER SCHMERZ. Von Marguerite Duras. Carl Hanser-Verlag, München 1986. 208 Seiten, Ln., öS 202,80.

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