Der 1932 geborene und 1990 verstorbene argentinische Autor Manuel Puig ist hierzulande vor allem durch die Verfilmung seines Buches „Der Kuß der Spinnenfrau" bekannt geworden. Hier geht es um den in seiner wissenschaftlichen Arbeit gescheiterten und arbeitslosen Historiker Larry John, der Pfleger des Argentiniers Rami-rez wird, der lange Zeit als politischer Häftling eingesperrt war und jetzt an den Rollstuhl gefesselt ist. Larry hofft, mit den Gefängnis-tagebüchern von Ramirez den Wiedereinstieg als Historiker zu schaffen und noch Karriere zu machen. Die beiden Männer geraten in
Der russische Autor Friedrich Goren-stein, geboren 1932 in Kiew, verlor seine Eltern schon als Kind während der Säuberungen der Stalin-Zeit. Aufgewachsen in einem Waisenhaus, wurde er erst im Rahmen der Entsta-linisierung 1962 „rehabilitiert”. 1964 konnte er seine erste und für die Dauer des kommunistischen Regimes auch einzige Veröffentlichung „Das Haus mit den Türmchen”, eine Novelle, erreichen. 1979 emigrierte er nach Westberlin, wo er auch heute noch lebt.In seinem Roman „Psalm” versucht Gorenstein, den Verfolgten und Ermordeten der Stalinzeit ein literarisches Denkmal zu
Der Fischer Dick Pierce hat einige Mühe, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Jetzt, da er 40 Jahre alt ist, überkommt ihn immer mehr das Gefühl, eigentlich ein Versager zu sein. Das Leben an der Küste von Rhode Island ist hart, er selbst zum widerspenstigen Sonderling geworden. Voller Neid ist er auf jene, die es leichter haben im Leben. Gleichzeitig läßt er sich nicht von seinem Traum abbringen, dereinst ein eigenes, großes Boot zu besitzen.Um zu Geld zu kommen, steigt er in den Drogenschmuggel ein, was beinahe schiefgeht. Zwei Frauen borgen ihm schließlich
Die große, dicke und ziemlich verfressene Aroon St. Charles blickt auf ihr ziemlich verunglücktes Leben zurück und versucht, den Dingen und Ereignissen wenigstens im Rückblick den Anschein von Harmonie und Gelungenheit zu geben. In ihrer naiven Art offenbart sie jedoch die grotesken Grausamkeiten des Lebens als Tochter einer verarmten englisch-irischen Landadelsfamilie. Form, Haltung und Etikette ist alles.Aroon scheint schon durch ihre wahrhaftig dick aufgetragene Körperlichkeit den Gesetzen von Zurückhaltung und Unauffälligkeit zu widersprechen. Sexualität und Liebe werden aus ihrem
Wenn Autoren weder ihrem Stoff noch seiner formalen Umsetzung gewachsen sind, greifen sie gerne zum Mittel des Experiments, denn gegen „Innovation" - einer der beliebtesten Götzenbegriffe der Gegenwart - läßt sich schwer argumentieren. 1Als „Prosa" bezeichnet der Verlag das neue Buch von Birgit Kempker, welches den Titel „Dein Fleisch ist mein Wort" trägt. Bereits die Namensgebung weist darauf hin, daß es eine tiefere Bedeutung geben muß -der Leser möge sie gefälligst finden. Wo der Erzählfaden nicht reißen kann, weil es ihn nicht gibt, muß das skizzenartige
Ein verheirateter Mann und eine verheiratete Frau fahren auf ein Wochenende miteinander seitenspringend nach Italien. Da der Mann ein Fußballfan ist, gehen sie zu einem Fußball-Europapokal-Finalspiel. Wie das Leben angeblich so spielt, überträgt die neugierige Fernsehkamera die beiden in voller Größe auf viele Millionen Fernsehgeräte, und zwar in dem Moment, als sie einander inniglich küssen. Die Kinder des Mannes sehen es, die Verwandtschaft sowieso und die lieben Kollegen im Büro auch.Der Ehemann der untreuen Seitenspringerin ist ein liberaler Freigeist, ihn stört bloß, daß seine
Vier Menschen, drei Frauen und ein Mann, begeben sich nach dem Wunsch der Autorin Undine Gruenter in ihrem neuen Roman „Vertreibung aus dem Labyrinth" auf die Suche nach den Wahrheiten der Liebe. Blok, Mann und Dichter, verwendet die drei Frauen als Beobachtungsgegenstand seines Schreibens. Daß er als Dichter nicht viel taugt, kann bei einer solchen Romankonstruktion vorausgesetzt werden.Doch mit der Suche nach der Wahrheit hat es wohl im speziellen als auch im allgemeinen so seine Probleme, vor allem dann, wenn eine Autorin dem Leser scheinbar mitteilen will, daß der Inhalt allen
Schrill ist en vogue (letzteres out, weil jetzt heißt es „in"). Also ist „Fette Welt" von Helmut Krausser wohl „in", so wie viele andere Bücher, von denen vor allem deutsche Verlage derzeit meinen, sie müßten zur Erhellung des Publikums auf selbiges losgelassen werden. Und so schaut das Ergebnis auch aus.„Geiler Kitzel durchsprüht die Nervenarena; wie Balzparfüm eines Gassenluders wallt in dicken Schwaden der Lustgehalt unsrer Blickmanöver." „Ihr Klobrillenbesitzer!" „Morgens biegt sich die Helle dunkelgrün hinab." Irritiertes Wiederlesen des
Die Türkei liegt an der Grenze zwischen Orient und Okzident. Die Menschen und ihre Kultur sind von diesem Zwiespalt geprägt. Das ist das Thema von Aysel Okazins Buch „Glaube, Liebe, Aircondition". Die heute als freie Schriftstellerin in London lebende Autorin beschreibt die Geschichte zweier türkischer Schwestern, die sich nach langen Jahren der Trennung in Amerika wiedertreffen. Während die eine eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen hat, lebt die andere als Hausfrau in einer amerikanischen Kleinstadt.Gemeinsam erinnern sie sich ihrer Kindheit in der Türkei. Ihre Mutter war
Es gibt in der neueren, deutschsprachigen Literatur offenbar ein Patentrezept, nach dem Romane geschrieben werden:Man nehme eine Landschaft, die jeder mit irgendwelchen eigenen Klischeevorstellungen ergänzen kann. Derzeit besonders beliebt: die Toskana. Dazu garniere rnan einige Reizworte, die ebenfalls irgendein Bild im Kopf des Lesers hervorrufen, aber dem Autor ersparen, diese Bilder selbst zu erzeugen: Fernet Branca, Billie Holiday, Bertolucci. Wenn man dann noch ein paar Worte in der Landessprache einstreut, ist Lokalkolorit garantiert. Das im Klappentext beiläufig erwähnte Wort
Der 1990 verstorbene Alberto Mora-via wird heute allgemein zu den bedeutendsten italienischen Schriftstellern dieses Jahrhunderts gezählt. Im Rahmen der Editierung einer neuen Werkausgabe der wichtigsten Romane und Erzählungen des Autors sind nun „Römische Erzählungen" als erster Band erschienen.Wer den hohen literarischen Rang von Moravia am Beispiel seiner letzten Romane - durchaus zu Recht -nicht nachvollziehen konnte, dem seien die in neuer Übersetzung und erstmals vollständig vorliegenden Erzählungen nachdrücklich ans Herz gelegt. Entstanden sind die Erzählungen in den
Patrick Süskind ist gut, und der Zeichner Jean-Jacques Sempe ist gut. Wie gut müssen erst beide zusammen sein! Nach dieser alten, ziemlich klischeehaften Vorstellungen dürfte der Verlag auch bei dem Buch „Die Geschichte von Herrn Sommer" vorgegangen sein. Aber wie so oft, allein die Kombination von Schnitzel und Schlagobers macht noch kein gutes Menü.Um nicht mißverstanden zu werden: das ist keineswegs ein abgrundtief schlechtes Buch. Die Zeichnungen von Sempe sind gewohnt herzig, der Erzählstil von Süskind erwartungsgemäß elegant. Und genau das ist das Problem. Dieses Buch
Wem das „Butterbrot" von Gabriel Barylli bereits zu wenig nahrhaft vorkam, der kann sich auch an dem neuen Werk dieses unbegnadeten Autors wenig erfreuen. „Folge dem gelben Steinweg" heißt das Buch, das einmal mehr verdeutlicht, daß die Prosa Baryllis keinen Vergleich mit dem Text der Beförderungsbedingungen der Wiener Straßenbahn zu scheuen braucht.In der Hoffnung, der Leser werde trainiert wie ein Pawlowscher Hund, brav auf zugeworfene Wortbrocken zu reagieren, läßt Barylli ein wahres Gewitter an Schlagworten auf die wehrlose Lesergemeinde niederprasseln. Innerhalb von
Merkwürdigerweise sind Verlage nur selten bereit, mit den Eigenarten und Unverwechselbarkeiten eines Autors zu werben. Lieber strengen sie Vergleiche mit anderen, berühmten Autoren an, weil sie offensichtlich meinen, damit den Umsatz besser ankurbeln zu können. Daß dies oft auf Kosten des beworbenen Autors geht, ist dabei offensichtlich zweitrangig.Ein Beispiel für diese häufig völlig unberechtigte Vorgangsweise ist das Buch „Der Hahn ist tot" von Ingrid Noll, die erste Veröffentlichung dieser Autorin. Von einer „deutschsprachigen ,Lady of Crime'" ist da die Rede
Nach Abschluß der Neuherausgabe der gesammelten Werke von Joseph Roth ist nun auch ein Band von bisher unveröffentlichten Briefen Roths erschienen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um rein private Briefe Roths, sondern um seine Korrespondenz mit dem Verlag De Gemeen-schap, einem kleinen, katholischen Verlag im holländischen Bildhoven.Roth war erst zweieinhalb Jahre vor seinem Tod zu diesem Verlag gestoßen. Die beiderseitigen Erwartungen waren hochgesteckt - zu hoch wahrscheinlich. Roth erwartete sich eine Milderung seiner existenzbedrohenden materiellen Sorgen, der kleine Verlag
Die Literatur hat so ihre Moden. Im Rhythmus von Frühjahrs- und Herbstmessen pflegen bestimmte Sujets über die wehrlose Rezensentengemeinde hereinzubrechen. Dabei werden meist schon bestehende Bedenken gegen das Abschlägem von Nutzholz zwecks Papiergewinnung bestätigt. Eine dieser derzeit wieder hoch in Druck stehenden Moden ist die nicht nur für den Schreibenden mühevolle Erinnerung an die eigene Kindheit.Ein Paradebeispiel für diese zumeist überflüssige Gattung ist das Buch „Die Schrift vom Speicher" von Klaus Modick. Es ist ein Buch voll germani-stik-geschulter Gelehrtheit,
Emil Szittya wurde als Adolf Schenk in Budapest geboren. Er zog als Kunstvagabund quer durch Europa und lernte dabei leute wie Pablo Picasso, Marc Chagall und Lenin kennen. Er war einer der ersten Dadaisten und gab 1915 gemeinsam mit Walter Semer die Zeitschrift „Der Mistral" heraus. Er schrieb 27 Bücher und schuf ein umfangreiches Werk als Maler.Der Wieser Verlag, der sich auch schon um zeitgenössische slowenische Literatur verdienstvoll kümmert, hat nun in seiner Reihe „Edition Traumreiter" eine Sammlung von Szittyas früher Prosa mit einem umfangreichen Essay von Max
Um 1980 herum gab es im Wiener Burgtheater den Plan, eine Szenenabfolge aus dem Leben Joseph Roths für die Bühne zu entwickeln. Daraus ist -man möchte beinahe sagen: selbstverständlich - nichts geworden. Der damals betraute Autor, Reinhart Baumgart, hat aber die Vorarbeiten für sein Buch „Auferstehung und Tod des Joseph Roth“ verwendet.Mit großer Behutsamkeit nähert Baumgart sich der Person Roths auf verschiedene, sehr unterschiedliche Arten. Einmal fragmentarisch, in einer Mischung aus eigenen Texten und solchen von Roth. Dann findet sich ein Essay, der sich mit dem Phänomen
Von der Schwierigkeit, in einem von Menschen erdachten System, Mensch zu sein, handelt das Buch „Die Beschneidung” von György Dalos. Ein Roman, dem der Autor den bescheidenen Untertitel „Eine Geschichte” gibt.Robi Singer ist Zögling im jüdischen Knabenwaisenhaus in Budapest, zwölf Jahre alt, und es ist das Jahr 1955. Seine Großmutter hat ihm beigebracht, auf die Frage nach seiner Abstammung mit „ungarisch-jüdischer, Kommunist” zu antworten. Aber kann man als Jude Kommunist, als Kommunist Jude sein? Und wie ist man als Ungar jüdisch? Zu allem Überdruß wurde - bedingt durch
Sehr geehrte Wahlkommission!Sie kennen wahrscheinlich die Frau Navratil nicht, aber Sie werden ihr wahrscheinlich schon sehr bald zu größtem Dank verpflichtet sein. Frau Navratil ist nämlich meine Greißlerin und legt mir immer frische Quargeln weg, weshalb ich sie mehrmals im Monat aufsuchen muß.Diese Gelegenheit ergreife ich immer, um dem Volk aufs Maul zu schauen. Und diese Frau Navratil hat mich darauf hingewiesen, daß Ihr geschätzter Verein einen neuen Obmann sucht. Einen Quereinsteiger, hat die Frau Navratil gesagt, und daß sie eigentlich nicht wisse, was das ist. Ich aber weiß
Man sollte zu Weihnachten keine Bücher schenken und schon gar nicht welche geschenkt bekommen. Egon, jener Vetter, den ich von allen Vettern, die ich nicht mag, am meisten nicht mag, jener Egon also hat mir nämlich ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Jede Diagnose selbst erstellt” geschenkt. Ich weiß nicht, ob er mich genausowenig mag wie ich ihn, aber ich vermute es. Irgendwie muß er mitbekommen haben, daß ich jede Krankheit, die in der nahen und auch ferneren Nachbarschaft seuchengleich ausbricht, stets am eigenen Körper in ihrer schlimmsten Ausprägung miterleide. Und
Nach seinem durchaus interes- santen Erstlingswerk „Sinnliche Gewißheit" konfrontiert uns nun der Wiener Autor Robert Menasse mit schwer verdaulicher Kost. In seinen Essays zum österreichischen Geist, betitelt „Die sozialpartner- schaftliche Ästhetik", tischt er uns eine ziemlich fragwürdige, weil all- zu simpel gestrickte Theorie auf.Er meint, die Unterschiede zwi- schen der deutschen und der öster- reichischen Literatur seien vorran- gig auf die unterschiedliche gesell- schaftliche Organsiation des Kapi- talismus zurückzuführen. Im Fall Österreichs seien die
Ich habe einen Fehler gemacht! Aber ich werde es nie wieder tun. Ich habe den Jungen des Nach- barn zum Lesen von Tageszeitun- gen verführt. In meinem unermeß- lichen Leichtsinn habe ich mich sogar erbötig gemacht, ihm abends meine ausgelesenen (was immer das ist) Zeitungen zur Lektüre zu über- lassen. Und der gute Junge lekto- rierte zu meiner größten Zufrie- denheit. Bis vor ein paar Tagen. Da kam er zu mir und sagte: „Lieber Onkel Nachbar, Du bist doch auch so etwas wie eine moralische In- stanz!"Oh Eitelkeit, oh falscher Stolz! Dem Hochmut folgt bekanntlich der Fall, doch mit
Es ist so weit: ich halte es nicht mehr aus. Ich muß mein demo- kratisches Gewissen erleichtern und ein volles Geständnis ablegen. Jawohl, geneigter Leser, Sie wer- den es nicht glauben, aber es ist so: ich bin der Mann, der daran schuld ist, daß es soviele STAPO-Akten gibt, die geradezu seuchengleich unser Land überschwemmen.Ich bekenne mich schuldig. Noch nie zuvor gab es so viele Spitzelak- ten in diesem Land, als seit jenem Tag, da bekannt wurde, wer da nicht aller bespitzelt wurde. Seit jenem Tag, an dem das Ministerium be- kanntgab, jeder Bürger habe das Recht zu wissen, ob über
Die 1960 fünfundfünf zigjährig verstorbene niederländische Auto- rin Anna Blaman, zählt heute be- reits zur klassischen Moderne der holländischen Dichtung. Das 1948 erstmals erschienene Werk „Einsa- mes Abenteuer" galt damals als skandalös, da eine Frau es wagte, einen „erotischen Roman" zu schreiben - woran man erkennen kann, wie schnell sich die Zeiten ändern: kaum jemand hätte heute Bedenken, dieses reichlich harmlo- se Werk auch Jugendlichen in die Hand zu drücken.Die Geschichte selbst dreht sich um Kosta, den Autor von Kriminal- romanen, der seine Freundin Alide in einer
„Die Stadt der Wunder" des spanischen Autors Eduardo Mendoza liegt nun endlich in einer deutschen Übersetzung vor, nachdem das Buch in der Heimat des Schriftstellers zu den literarischen Entdek-kungen des Jahres 1986 zählte.Die Handlung spielt in Barcelona in der Zeit zwischen der Weltausstellung 1888 und 1929, dem Jahr des großen Börsenkrachs. Wir erleben den Aufstieg Onofre Bouvilas vom Verteiler anarchistischer Flugblätter zum reichen Spekulanten. Daß er sein Vermögen nicht immer auf ganz legale und saubere Art erworben hat, versteht sich fast von selbst. Er hat keine
„Ihr Vater war einem Stück Speck erlegen", so prosaisch beginnt eine der Geschichten in Hugo Loetschers Buch „Die Fliege und die Suppe", einem Buch über - ja, worüber? Eigentlich handelt das Werk von Tieren. Wie man am zitierten Satz erkennen kann, geht es jedoch nicht um Walt Disneys heile Märchenwelt. Es ist die Welt der Menschen, in der die Tiere sich notgedrungen bewegen.Aber keine Angst: nicht ernste Belehrung, sondern böse Satire ist die Methode des Autors. Indem er uns etwas über die Tiere in der von uns geschaffenen Welt erzählt, erzählt er uns auch eine Menge über
Fünfzig Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist allerorten wieder mehr oder weniger gelungene Vergangenheitsbewältigung im Schwange. In diese Kategorie ist auch Gisela Eisners Roman „Fliegeralarm“einzuordnen. Leider bewältigt sie die Vergangenheit besser als die sprachlichen Mittel.Die Geschichte ist schnell erzählt. Während rundherum die Welt im Bombardement der Alliierten in Trümmer geht, spielen Kinder genau auf diesen Trümmern. Ihre Sprache ahmt die der Erwachsenen nach, die Phrasen und Schlagwörter des Regimes finden sich in ihren Spielen wieder. Und das soziale
In der Form eines Kriminalroma-nes wird das Buch „Einladung zum Mord“ der italienischen Autorin Lodovica San Guedoro auf den Leser losgelassen.DieBewohnerder Jasminstraße leben in Ruhe und kleinbürgerlicher Zufriedenheit ihr Leben, bis eines Tages die Familie Rubinacci einzieht. Laute Autos und ebensolche Musik, ein fröhliches aber unziemliches Treiben setzt zum Entsetzen der alteinges-senen Bewohner ein. Und dann taucht auch noch ein Mörder auf. Im Klappentext heißt es, daß ein Privatdetektiv auftaucht, der so-viele Hypothesen entwirft, daß sich niemand mehr auskennt. Genauso ist
Der Roman „Letzte Briefe des Jacopo Ortis“ von Ugo Foscolo, erschienen 1802, gilt als der erste „wirkliche“ Roman der italienischen Literatur. Anknüpfend an Goethes Werther erzählt Foscolo eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der politischen Verfolgung des Helden, der aus seiner Geburtsstadt Venedig fliehen muß, da er gegen die Fremdherrschaft durch die Österreicher kämpfte.Das Schicksal Jacopos ist dek-kungsgleich mit dem des Autors Foscolo. Die schwere Enttäuschung darüber, daß der vermeintliche Revolutionär Napoleon im Frieden von Campoformio sich als reinerMachtmensch
Den neuen Erzählband von Wilhelm Pevny liest man mit gemischten Gefühlen. Da ist einer-seits die Sprache, die oft ungenau zwischen den verschiedenen Idiomen pendelt: ,,'ne hübsche Frau“, das ist doch sehr norddeutsch und sollte weder einem österreichischen Autor noch dem Lektorat passieren. Dann wieder gibt es Stellen,, wo man zustimmend nickt, und ertappt sich plötzlich dabei, daß diese Zustimmung eigentlich nicht der literarischen Darstellung, sondern der inhaltlichen Aussage gilt. Nach einigem Nachdenken stellen sich dann allerdings Zweifel ein, ob die simplen Wahrheiten der
Ein neues Buch des Wieners Gottfried Distel liegt vor mir, beigelegt ein Schreiben des Verlages, man hoffe, ich stünde dem neuen Werk gnädiger gegenüber als dem vorangegangenen. Nun, Gnade ist nicht unbedingt ein Kriterium für Buchbesprechungen, vor allem dann, wenn man sich über ein Buch maßlos geärgert hat.. „Der Schneemann Golem“, so der Titel des Werkes, hat all das, was ich auch am letzten Buch dieses Autors gehaßt habe: schlampige Sprache, alle.. Mode-, themen (von Greenpeace bis künstliche Befruchtung) werden durchgehechelt, nichts davon aber wirklich behandelt. Ein
Im London der Zwischenkriegszeit lebt eine Familie, die aus der zerstörten Habsburger-Monarchie geflüchtet ist und in der neuen Heimat versucht, ihre alten Lebensgewohnheiten und Gebräuche aufrecht zu erhalten. Das ist das Grundthema des Romanes „Tugend und Laster“ der englischen Autorin Anita Brookner. Wie wenn man ein Fotoalbum aus alten Tagen durchblättert, wird man mit der Familie vertraut, sieht langsam vor den eigenen Augen diese Welt bürgerlicher Konventionen neu erstehen und begreift, daß hinter dieser Fassade der Ruhe und Ausgeglichenheit sich auch das eine oder andere -
Wie wir alle wissen, ist der Wohlstand im allgemeinen beträchtlich angestiegen. Wie wir ebenso wissen, hat der Stand des Kontos mit dem Stand der Bildung nicht immer Schritt gehalten. Diesem Manko abzuhelfen und ihren eigenen Wohlstand dadurch zu mehren, haben sich viele Buch- und Zeitschriftenverlage vorgenommen Zumindest zweiteres ist - wie wir wissen - durchaus gelungen.Ein besonders gravierender Bildungsmangel dürfte insbesondere auf dem Gebiet des Essens vorliegen. Denn während man auf einem großen Teil dieses Erdballs nicht weiß, wo man die Nahrung hernehmen soll, weiß der andere
Es gibt dicke Bücher und es gibt unerträglich dicke Bücher. „Vatertier - Muttertier“ von Marcel Konrad zählt eindeutig zur zweiten Sorte. Soweit ich vermuten kann, dürfte es in diesem ausuf ernd-an-strengenden Buch, dessen Ende der Leser kaum erwarten kann, um gestörte Sexualität und pervertierte Triebe gehen, welche sich in der Sprache des Buches durchaus wiederfinden. Aber Achtung: das Buch ist weder schockierend noch pornographisch, bisweilen allerdings geradezu langweilend ordinär. Darüber hinaus ist der Autor offensichtlich Mitstreiter auf der neuen Welle namens
Kurz vor dem Ende dieses k. Katastrophen-Sommers -und für mich ist jeder Sommer eine Katastrophe - bin ich soweit, ein Geständnis abzulegen. Jawohl, ich bin es gewesen: der Schrecken aller Reisebüros.Sie werden erfahren, wie es dazu kam, daß ich in den diversen Reisebüros unseres Landes Lokalverbot erhalten habe.Alles begann im letzten Winter. Ich wollte eine Reise buchen und schloß messerscharf, dies tue man am besten in einem Reisebüro. Ich hätte wissen sollen, daß ich den schönen Sprüchen der bunten Reisebeilagen der Zeitungen auf den Leim gegangen bin. Doch jugendlicher
Der 1941 entstandene Roman „Don Giovanni in SiziUen“ von Vitaliano Brancati Hegt nunmehr in einer ausgezeichneten Ubersetzimg endlich in deutscher Sprache vor.Brancatis Geschichte eines Sizi-Uaners,dernach langem Ringenmit sich selbst und seiner Umwelt eine NorditaUenerin geheiratet hat, ist eine brillant erzählte Satire auf den sizihanischenMannundseineTräu-me.Seine neue Frau bringt ihn in den Norden des Landes und lehrt ihn die Bräuche des hastigen, modernen Mailand. Giovanni speckt ab, verzichtet auf Pasta und Mittagsschlaf, und bekommt mit einem Mal die Möglichkeit, seine
Ingrid Puganigg gilt als eines der neuen österreichischen Erzähltalente. Leider wird sie diesem Ruf in ihrem Buch „Laila - Eine Zwiesprache“ nicht gerecht. Erstens ist es so, daß die gewählte Form der Erzählung denVerdacht keimen läßt, hier ist jemand daran gescheitert, eine Geschichte so zu erzählen, daß ihm dabei nicht der Atem ausgeht. Das Buch verwechselt Kurzatmigkeit mit Atemlosigkeit. Zweitens - und vielleicht schwerwiegender- scheint sprachlich vieles zu angestrengt, zu kalkuliert, zu gewollt originell. Scheinbarer Tiefsinn ist nichts als platt: „Man trifft sich in der
Das Wirtschaftswunder ist ausgebrochen. Oberösterreich erliegt seinem zweifelhaften Charme. Denn mögen die Zeiten auch neu sein, die Menschen sind die alten geblieben. Zwischen der kleinen Korruption des Alltages und mißlungenen Selbstmordversuchen lavieren sich die Menschen durch die Gezeiten.Das ist der Stoff, aus dem der moderne Heimatroman gemacht wird - oder: gemacht werden könnte. Denn der Roman-Erstling von Erich Möchel, “Schlachtpläne“, kann sein Versprechen nicht ganz einhalten. Das liegt in erster Linie daran, daß der Autor meint, Originalität alleine wäre schon
In der Gegenwartsliteratur gibt es neben einigen anderen Tendenzen vor allem die zur angeblich gewollten Monotonie, endlose Wiederholungen der immer gleichen Sentenzen.Warum das gute Literatur sein soll, bleibt für den Rezensenten unergründbar.Wichtigstes Stilmittel ist das geradezu manische Kursivstellen einzelner Wörter. Etwa so: Der Hennenbühl liege in die andere Richtung. Wer es versteht, bitte sehr, der hat dem Rezensenten etwas voraus. Und wenn jemand weiß, was ein Begriff wie „klein- teiliger Schmerz“ bedeuten soll, möge es mitteilen.Die Rede ist von Arnold Stadlers Roman
Es gibt eine Stufe des Menschseins, angesichts der jede Wissenschaft versagt und folglich zu verstummen hat. Es gibt kein ungeeigneteres Objekt der germanistischen Auseinandersetzung als Joseph Roth. Denn was die Germanistik (wie viele andere Wissenschaften) nicht zählen und vermessen kann, hat in ihr keinen Platz.Joseph Roth, der vor fünfzig Jahren, am 27. Mai 1939, in Paris gestorben ist, war ein nichtintellek-tueller, ein unrationaler - aber keineswegs irrationaler - Schriftsteller. Jeder Versuch, sich ihm mit den Mitteln wissenschaftlicher Analyse zu nähern, wird scheitern müssen. So
Leise und behutsam erzählt Emst Halter in seinem Roman “Das Buch Mara“ die Geschichte der Liebe eines Mannes zu einer Mädchenfrau.Daß Sprache nicht wirklich ausreicht, über das zu schreiben, was wir leichtsinnig “Liebe“ nennen, dessen ist sich Halter offensichtlich bewußt. In einem seltsamen Schwebezustand zwischen Banalem und Pathos erlebt der Held des Buches das Scheitern seiner Liebe, und es bleibt offen, ob dieses Scheitern nicht auch ein kleines Gelingen mit einschließt.Eine wunderbar traurige Liebesgeschichte, wie das Leben sie (beinahe) niemals schreiben würde: dort
Der junge Damin lebt in einem Spanntmgsverhältnis zwischen seinem autoritären Vater tmd seinem feinfühligen Großvater, zwischen der mit einem Faschisten ehebrechenden Mutter tmd dem Sozialisten Occialim.Damin ist nicht in do: Lage, diese "V^dersprüche zu bewältigen, seine wehrlose Psyche beginnt langsam, aber sicher, den Kontakt ztir Außenwelt zu verlieren. Seine sexuellen Wünsche konzentriert er immer mehr auf sich selbst, verstrickt sich in seine Komplexe tmd Hemmungen. Getrieben vom schwärmerischen Männlichkeitswahn tmd dessen Rittialen verliert er den letzten Halt in der
Georges-Arthur Goldschmidt, Jahrgang 1928, geboren in Hamburg, mußte 1939 mit seinen Eltern vor den Nazis und ihren Helfershelfern nach Frankreich flüchten. Bekannt wurde er in Frankreich als Übersetzer vieler Bücher von Peter Handke.Mit seinem Buch „Ein Garten in Deutschland“ tritt Goldschmidt aus dem Schatten des Übersetzers und legt ein Buch von seltener Schönheit über eine verlorene, verbotene Kindheit vor.Denn das kleine Kind, das er damals war, hatte natürlich keine Ahnung von den Vorgängen, die die Welt aller Menschen aus den Angeln heben und die Welt der Juden und vieler
Nach dem indianischen Fest der Verbrennung und Auferstehung hat Antonio Callado seinen Roman „Quarup“ benannt.Erst nach langem Zögern und mehr gezwungen als freiwillig hat der junge Franziskanerpater Nando den Auftrag übernommen, die Xingo-Indianer zu missionieren. Er nimmt am „Quarup“ teil und beginnt gewissermaßen selbst ein neues Leben. In der gewaltigen Auseinandersetzung zwischen arm und reich, zwischen gestern und heute, findet auch Nando bald seinen Platz. Alle Widersprüche des Brasiliens von heute spiegeln sich in seinem eigenen Lebenslauf wider.Callados eindrucksvoller
Helmut Zenker wird, seit er einst die Drehbücher für „Kot- tan“ geschrieben hat, von vielen irrtümlich für einen wichtigen österreichischen Autor gehalten. In Wirklichkeit dürfte er beim Drehbuchschreiben verlernt haben, wie man einen Roman verfaßt. Anders ist nicht zu erklären, daß in seinem letzterschienenen Buch „Hinterland“ nur mehr Filmausschnitte mühsam zusammengeklebt und unter dem irreführenden Titel „Roman“ unters offenbar weitgehend faschistische Volk gebracht werden.Daß Zenker in seiner thematischen Beschränkung auf „Kot- tan“ und
nach dem Krieg zu alt. Er erinnerte sich an die alten Straßenbahnen, in denen der Schaffner kontrollierend hin- und hergegangen ist, und man in Wahrheit gar kein Schaffner, sondern noch Conduc-teur war. Er erinnerte sich dieser alten, wackeligen Wägen ohne Türen. Damals war es möglich, während der Fahrt auf- oder abzuspringen, imd Novotny konnte ermahnen und zurechtweisen.Irgendwann haben sie dann die geschlossenen Wägen eingeführt, deren Türen dauernd klemmten. Und eines Tages kam der „Eiserne Schaffner“, wie sie die Fahrscheinautomaten überall nannten. Herrn Novotny gefiel diese
Mit Liebesgeschichten hat es seine eigene Bewandtnis. Genaugenommen kann man heutzutage, wenn man unseren Germanisten so zuhört, gar keine mehr schreiben. Es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität, daß wir heute, da die meisten Literaten seit einiger Zeit damit beschäftigt sind, anstatt über die Außenwelt nur mehr über die Innenwelt zu schreiben, daß wir gerade heute keine ordentlichen Liebesgeschichten mehr zu lesen bekommen. Entweder ergehen sich diese Geschichten in quälender Selbstbeschau oder in noch quälenderer Beschreibung diverser Sexualtechniken.Ein wenig aus der Reihe
Allzuoft wird jede skurril anmutende Literatur gleich in die Nähe von Herzmanovsky-Orlan-do gerückt. Dies ist aus zweierlei Gründen bedauerlich: erstens sind viele diesem Anspruch nicht gewachsen (wer mißt sich schon gern mit Torberg!), und zweitens werden dabei oft die wahren Qualitäten eines Autors übersehen.Peter Szivatz zählte zu den Qualitätsvollen. Sein fast zehn Jahre nach seinem Freitod endlich erschienener Roman „Kipfler“ hat alle Voraussetzungen, Irrtümer hervorzurufen. Da wimmelt es von den verschiedensten Typen Wienerischer Prägung, in scheinbar skurriler
Wir lesen Bücher, hören Gedichte, sprechen miteinander. Jenseits dessen, was wir als Schönheit der Sprache begreifen, gibt es auch noch den wissenschaftlichen Diskurs darüber, was denn nun das Wesen dieser ureigensten Erscheinung des menschlichen Geistes sei, was die biologischen Grundlagen dieser besonderen Fähigkeit des Menschen sind. Wie kommt es, daß wir einander verstehen — zumindest im semantischen Sinne, denn sonst ist in dieser Welt von gegenseitigem Verstehen leider nicht allzuviel zu bemerken?In den letzten Jahren hat sich in Abwendung von der extremen Spezialisierung in den
Wie Sie wissen, ist unsere Post nicht mehr die alte. Ganz im Gegenteil: sie ist eine neue Post, und es steht zu befürchten, daß selbst der schlaue Fuchs, den sie sich zum Wappentier auserkoren hat, nach Jahrtausende währender, gemütlicher Evolution sich nun sehr abrupt und plötzlich einer Verjüngungskur unterziehen hat müssen, um den mannigfaltigen Anforderungen der neuen Zeit auch wirklich gewachsen zu sein.Denn es genügt heutzutage ja nicht, einfach nur ein schlauer Fuchs zu sein. Nein, ein Fuchs kann sich nicht mehr darauf beschränken, allerlei Kleingetier des Waldes zu fangen, und
Wenn die Redaktion einer der jetzt so beliebten Zeitgeist-Zeitschriften eines Tages im Vollrausch beschließen sollte, ein richtiges Buch zu schreiben, dann würde wahrscheinlich, ungefähr das herauskommen, was wir in Manfred Maurers Buch „Thrill“ finden.Der atemlos gehetzte Tonfall der Erzählungen soll wohl die Ruhelosigkeit unserer Zeit darstellen, ist aber bloß komisch und Überspannt. Wie oft das Wort Hinterteil in seiner umgangssprachlichen Vergröberung verwendet wird, ist nicht zu zählen.Wen es nicht stört, von einem österreichischen Autor mit Worten wie „Glibberzeug“,
Zwanzig Jahre danach — unter diesem Motto wurde Fritz Kellers Beinahe-schon-Klassiker „Wien, Mai 68 - Eine heiße Viertelstunde“ in einer erweiterten Fassung neu aufgelegt.Der Autor, ein intimer Kenner der Szene und einst Mitakteur, versucht eine Ubersicht nicht nur über die Ereignisse der damaligen Zeit, sondern auch über die Vorgeschichte zu geben. Auch der kulturelle Unterbau (damals „Underground“ genannt) wird in die Betrachtungen mit einbezogen.Daß manche Wertungen Kellers durchaus bestreitbar sind, liegt bei der Nähe des Autors zu den Geschehnissen auf der Hand, mindert den
Zum sechzigsten Geburtstag von Henry Jaeger wurde sein wohl wichtigstes Buch, „Die bestrafte Zeit“, neu aufgelegt. Jaeger selbst hat rund zehn Jahre seines Lebens in diversen Gefängnissen der Bundesrepublik verbracht. Dort begann er zu schreiben und wurde Schriftsteller. Das Buch ist eine erbarmungslose Abrechnung mit einem Strafvollzug, der selbst kein Erbarmen kennt. Auch in der Nachkriegsgesellschaft der BRD (und nicht nur dort) existieren die Sadisten und Unmenschen,die dem Schrecklichen, das geschieht, noch ein Schäuferl drauflegen.Die Mitläufer und hundertfünfzigprozentigen
Als einen umgedrehten Entwicklungsroman könnte man das erstaunliche Erstlingswerk „Sinnliche Gewißheit“ des Wiener Autors Robert Menasse lesen.Im Gegensatz zur Hegeischen Ansicht, die Menschheit befinde sich bereits im Stadium des „absoluten Wissens“, sieht Professor Singer, eine der zentralen Gestalten des Buches, den Menschen auf die erste Stufe, eben „die sinnliche Gewißheit“ zurückgeworfen. In der „Bar jeder Hoffnung“ trifft sich die deutschsprachige Gemeinde von Säo Paulo.Dort gehen die Menschen ihren mehr oder weniger merkwürdigen Zeitvertreiben nach und verfallen
Beinahe wäre dieser Artikel nie geschrieben worden. Denn ich hatte Hemmungen. Dabei wollte ich nur das machen, was Hunderttausende andere Leute auch zweiundfünf zigmal im Jahr tun: „Die ganze Woche“ kaufen.Was würde mein Zeitungsverkäufer bloß sagen? Er war von mir gewohnt, daß ich nur die seriösesten Zeitungen kaufte. Würde es sein Weltbild in unverantwortlicher Weise aus dem Gleichgewicht bringen? Und was war„ wenn ich gesehen wurde? Wie peinlich. Da erinnerte ich mich eines Jugendtricks. Bei uns war die gute, alte „Presse“ immer sehr behebt gewesen. Nicht etwa, daß uns
„Ich habe noch nie so schonungslos mein Leben erzählt; meine Erzählung soll ohne Schminke und Rosarot sein.“ So steht es irgendwo in Karin Strucks Roman „Bitteres Wasser“.Leider hat sich die Autorin an diesen Satz gehalten. Dieses Buch über einen Betriebsrat, der von den Anforderungen der Sozialpartner überfordert ist, zwischen die Fronten gerät und zum Alkoholiker („bitteres Wasser“ eben) wird, ist voller Klischees und schlechter Sprachbilder („Das Pochen der Sucht ist grausam“: so lautet eine der Kapitelüberschriften). Und wie es in einem ordentlichen Bildungsroman zu
Der Zsolnay-Verlag hat sich in letzter Zeit einige Verdienste mit der Neuauflage verschiedener, zumeist vergessener Autoren der Zwischenkriegszeit erworben. Einer dieser Autoren ist der Erzähler und Romancier Leo Perutz. Geboren 1882 in Prag, übersiedelte Perutz schon früh nach Wien, wo er bis 1938 tätig war und dann nach Palästina emigrierte. Nach dem Krieg gelang es ihm nicht, wieder in den Blickpunkt des Interesses zu kommen, und er starb, von der Öffentlichkeit unbemerkt, 1957 in Bad Ischl.Sein Buch „Sankt Petri-Schnee“ darf wohl zu den Klassikern des phantastischen Roma-nes
Der tschechische Schriftsteller Ludwig Winder, geboren 1889 im mährischen Schaffa, zählt zu den wichtigsten Erzählern der Tschechoslowakei. Leider ist er heute fast völlig vergessen, zu Unrecht, wie es scheint. Winder war neben Max Brod die zweite bedeutende Persönlichkeit der deutschsprachigen Publizistik in Prag, wo er Feuilletonredakteur bei der Zeitung „Bohemia“ war. Der Jude Winder mußte vor den Deutschen flüchten und fand - mit der Zwischenstation Polen - in England Exü, wo er noch vier Romane schuf und 1946 starb.Insgesamt verfaßte Winder dreizehn Romane. Eines seiner
Gehörte es lange Zeit zum guten Ton, an Simmel kein gutes Haar zu lassen, so ist es nun - im Gegensatz dazu — modern geworden, in ihm den verkannten Schriftsteller zu entdecken. So unmäßig, wie die Bösartigkeiten einst übertrieben wurden, so unangebracht dürfte die jetzige Lobhudelei sein.In Simmeis letztem Buch „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“ nimmt er sich eines ernsten und wohl noch vielerorts in seiner Brisanz unterschätzten Themas an: der Gen-Technologie. Es finden sich alle Ingredienzen, die einen Simmel lieben, und die die anderen ihn verachten lassen. Aber man
Man nehme: ein wenig Utopie (in diesem Fall Science'-fiction), ein bißchen Kriminalroman, vermische das Ganze mit angeblichem Wiener Lokalkolorit, und schon hat man eine neue Literaturgattung kreiert, die unsere nach Innovationen dürstenden Germanisten begeistern kann. Wenn sich dann noch mißlungene oder überstrapazierte Sprachbilder dazugesellen, sind dem Werk bereits literarische Weihen sicher, weil es „all das so genial bloßlegt“.Ein Musterbeispiel dafür liefert der Wiener Gottfried Distl mit seinem Roman „Europa den Afrikanern“. Die Geschichte soll wohl skurril sein, ist aber
Jachin-Boaz, der Jude, führt einen kleinen Laden, in dem er seine selbstgefertigten Landkarten und Stadtpläne verkauft. Es sind jedoch keine ganz gewöhnlichen Karten, mit denen er handelt. Er macht eigene Karten mit allen Stellen, an denen man einen Brunnen graben kann; an Dichter verkaufte er Karten, auf denen alle Orte verzeichnet sind, an denen irgendein anderer Dichter schon besonders gute Ideen gehabt hat. An einer einzigen Karte jedoch arbeitet er schon seit Jahren, sie ist für seinen Sohn gedacht und soll seine beste Karte werden — eine Karte, die seinem Sohn alles finden lassen
Ludwig Steub (1812-1888) ist in erster Linie als Volkskundler und Reiseschriftsteller bekannt geworden. Seine Reisebeschreibungen aus Bayern und Tirol sind auch heute noch von kulturhistorischem Interesse. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß Steub sich auch rein Uterarisch betätigt hat und eine ganze Reihe von Erzählungen und einen Roman geschrieben hat.In dem Buch „Die Rose der Se-bi“ erzählt Steub in einer scheinbar realistischen Art eine Geschichte aus dem Tirol des vorigen Jahrhunderts. Dabei-wird offenbar, warum der literarische Erzähler Steub die Zeiten nicht überdauern
Albanien zählt wohl zu den rückständigsten und am meisten vom Rest der Welt isolierten kommunistischen Ländern. Wer ein wenig vom Umgangston und von der offiziell verordneten Denkweise in diesem uns so fremden Land erfahren will, dem sei das Buch „Der große Winter“ von Ismail Kadare empfohlen.Der Roman ist ein links-stalini-stisches Machwerk par excellen-ce. Das Buch erzählt von der Größe des Kommunismus beziehungsweise dessen, was in Albanien als Kommunismus gilt. Es erzählt davon, wie vergleichsweise klein die Menschen gegenüber dem Werk des „großen“ Enver Hoxha sind. Vor
Daß die hehren Institutionen von Forschung und Lehre nicht ganz so hehr sind, wie sie sich gern den Anschein geben - geahnt haben wir es schon immer. Wer aber den Roman „Fridolin und die Bombe“ von Jürgen W. Weil gelesen hat, dem wird die Ahnung zur Gewißheit.Auf witzige und ironische Art beschreibt der Autor die Eitelkeiten und vermeintlichen Karrierezwänge des Universitätsbetriebes vor dem Hintergrund eines ziemlich ernsten Themas: der Problematik der Atomenergie. Daß er auch diesem Thema seine heiteren Seiten abgewinnen kann, spricht für die Qualität des Buches.Fridolin, der
1925 ist die Originalausgabe von Blaise Cendrars* „Gold“ erstmals erschienen. Nun endlich wurde dieser wichtige Roman, ein bedeutendes Dokument avantgardistischer Strömungen der zwanziger Jahre, neu aufgelegt.In einer beinahe drehbuchartigen Dramaturgie geht Cendrars dem Schicksal Johann August Suters nach, jenes Mannes, auf dessen Boden sich die größten Goldfunde Kaliforniens ereigneten und der von Spekulanten und vom Staat um sein ganzes Vermögen gebracht worden ist und bis an sein Lebensende nicht aufhörte, um Wiedergutmachung zu kämpfen.Cendrars selbst erging es mit seinem Buch
Seit Werfeis Abituriententag taucht das Motiv des Klassentreffens in der Literatur immer wieder auf. Inzwischen ist diese Thematik auch über den großen Teich gelangt und wurde dort von dem schnulzen-bewährten Love-Story-Autor Erich Segal aufgegriffen.Sein Buch „... und sie wollten die Welt verändern“ hat alle Ingredienzien des modernen und oberflächlichen Erfolgsromanes. Ein wenig Midlife-Crisis, eine Prise Vietnam-Krieg, ein paar Prominente aus der Politik, die in erfundenen Dialogen ihre Weisheit zum Besten geben (Kissinger etwa) — und der Rahmen: der Harvard-Jahrgang 1958 trifft
Ein Gespenst geht derzeit um in der deutschen Literatur. Es ist nur spärlich bekleidet und heißt Sexualität.In den letzten Monaten beschäftigte sich fast die Hälfte der Bücher, die auf dem Schreibtisch des Rezensenten landeten, mit diesem Thema. Der Großteil dieser Werke ist das Papier nicht wert, auf dem sie leider gedruckt wurden. Ihr Sexualitätsbegriff beschränkt sich auf die unmittelbare Betätigung der Geschlechtsorgane.Auch das Buch „Die Körper und die Träume“ von Dieter Wellershoff stellt da keine Ausnahme dar.Das Buch — eine Sammlung von acht Erzählungen aus fünf
Es ist beinahe unglaublich, daß die ernsthafte Geschichtsforschung zwar eine große Menge Material über Kaiser Franz Joseph hervorgebracht hat, dabei aber fast achtlos an den Unmengen von Huldigungsliteratur vorbeigegangen ist, die sich im Laufe seiner langen Regentschaft angesammelt haben.Helmut A. Niederle ist es zu verdanken, daß wir jetzt mit dem gesammelten Kitsch dieser Epoche konfrontiert werden, wobei es dem Autor nicht darum geht, diese oft wirklich sehr komischen Hervorbringungen zu desavouieren. Es wird hier der Versuch unternommen, zu zeigen, daß zwischen dieser Literatur und
Der Amerikaner Errol Lincoln Uys unternimmt in seinem Roman „Brasil” den Versuch, einen Teil der Geschichte Brasiliens hinter dem Vordergrund der Geschichte zweier Familien zu erzählen. So weit, so unoriginell. Folkloristische Stimmung soll dadurch erzeugt werden, daß im Text laufend diverse Latein-Amerikanismen verwendet werden.Daß es fast unmöglich ist, während der fast dreizehnhundert Seiten dauernden Lese-Qualauch nur annähernd einen Uberblick über die handelnden Personen zu bekommen, dokumentiert der Autor selbst, indem er im Anhang die Stammbäume der beiden Familien abdruckt,
Miguel Delibes zählt bereits zu den Klassikern der modernen, spanischen Literatur. Sein Roman „Die heiligen Narren” spielt während der Franco-Ära und handelt von den feudalistischen Strukturen eines Landes, in dem der Gegensatz zwischen Herr und Knecht noch immer ungebrochen ist und von den Herrschenden in zynischer Verachtung aufrechterhalten wird. Es geht um die Notwendigkeit, solche Strukturen zu überwinden, um die Notwendigkeit, die feudale Herrschaftsordnung zu zerstören.Ausgeführt wird diese Revolte vom alten Azarias, einem schwachsinnigen Greis, der einem der Unterdrücker
Edward „Egg” Lambert ist Besitzer eines Spielzeugladens und Shakespeare-Fan sowie unverwüstlicher Liebhaber des Basketball-Sports. Als er eines Tages nach Hause kommt, stellt er fest, daß seine Frau verschwunden ist. Der erste Gedanke: Sie ist entführt worden. Der zweite: Sie hat ihn verlassen. So ist es auch. Optimist, der er ist, macht er sich auf eine Reise zu seiner Jugendliebe Tory, und gerade als er diese soweit hat, seinen Wünschen wieder zu erliegen, kehrt auch seine Frau zu ihm zurück. Jetzt stellt sich also die, ach, so wichtige Frage: Für welche von beiden sich
Vergangenheitsbewältigung ist nicht nur ein Problem Österreichs. Auch andere Länder befinden sich in der mißlichen Lage, nach dem Krieg allzu schnell zur Tagesordnung übergegangen zu sein, und es dabei mit der Gewissenserforschung nicht sehr genau genommen zu haben. Ganz besonders stellt sich dieses Problem zum Beispiel in der DDR, wo die Leute, die eben noch durch Mitläufertum oder durch Schweigen die Naziherrschaft ermöglicht hatten, plötzlich dazu ansetzten, „den Sozialismus aufzubauen“. All diese Leute konnten ja nicht plötzlich und über Nacht andere Menschen geworden
Reinhard P. Gruber nennt sein neues Buch „Vom Dach der Welt“ im Untertitel „Schicksalsnovellen“. Doch um Novellen handelt es sich eigentlich nicht. Was Gruber hier vorlegt, könnte durchaus auch unter dem Begriff „Heimatdichtung“ firmieren.Die kurzen, oft nur vier Zeilen langen Geschichten erzählen in aphoristischer Kürze von Grubers engerer (hier im Wortsinn!) Heimat, der Steiermark, immer ein wenig bösartig, aber mit dem Einfühlungsvermögen desjenigen, der die Liebe zu den Menschen des Landes und zum Land selbst nicht verleugnen kann. Nicht den modischen Ach-wie-
Das Berlin der achtziger Jahre, besetzte Häuser, Straßenschlachten, eine Jugend, die ihre Hoffnungen und Illusionen verloren hat. Ein Hintergrund, wie geschaffen für einen großen Roman. Geworden ist daraus leider nur ein kleiner, nämlich „Der saubere Tod“ von Michael Kleeberg.Dieser erste Roman des Autors spielt mit allen Versatzstücken dieser Zeit, ohne den Ereignissen jedoch wirklich ihre Geheimnisse und Merkwürdigkeiten entreißen zu können. Viel Rauschgift, ein bißchen Infektionskrankheiten, larmoyantes Selbstmitleid — so schleppt sich eine dürftige Handlung dreihundert
Bonsai-Novellen nannte Günter Brus einmal scherzhaft seine kurzen Geschichten, die laut Verlagsanpreisung „das gnadenlose Feuerwerk eines literarischen Pyromanen“ darstellen.Was auch immer ein literarischer Pyromane nun sein mag, gnadenlos ist diese Prosa auf jeden Fall. Sie hat kein Mitleid mit dem Leser, sondern versucht dauernd, ihn zu belehren, und ergeht sich in banalen Pointen. Diese Prosa ist für die Literatur ungefähr das, was 0 3 für die Musik ist: Hintergrundberieselung. Wir werden mit einer literarischen Nippessammlung konfrontiert, die jenen zeitlosen Uberflüssigkeiten
Perturbation, das heißt soviel wie Verwirrung, nennt Gerhard Lampersberg sein schmales Bändchen Literatur. Lampersberg, das ist jener Mann, der in Bernhards „Holzfällen“ bis zur Kenntlichkeit verschlüsselt worden war, und daher zum Kadi lief."Nach der juristischen Antwort, die scheiterte, folgt nun die literarische, die ebenfalls scheitert.Sicherlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, den ausschweifenden Wortgewittern von Thomas Bernhard eine sparsame und beherrschte Sprache entgegenzusetzen. Lampersberg aber schweigt uns in vier Sprachen an. Am Umschlag seines Buches wird das
Unvergeßlich: der Autor dieser Zeilen war kaum zehn Jahre alt und hatte zu Weihnachten seinen ersten Karl May bekommen, den Band „Durch die Wüste".Nachdem die ersten Hemmungen überwunden waren, wurde das Buch in der folgenden Silvesternacht (unter der Tuchent mit Taschenlampe) von der ersten bis zur letzten Seite erobert. In den folgenden zwei Jahren wurden alle erhältlichen Karl-May-Bücher förmlich durchrast.Wie töricht von einem so jungen Buben! Hätte er damals schon die Aufarbeitung von Karl May durch moderne Psychologen und Literaturwissenschafter in die Hände bekommen, er
Wußten Sie, daß die neue niederösterreichische Landeshauptstadt St. Pölten nąch dem heiligen Hippolytus benannt ist? Oder: daß die Schwechat schon in früheren Zeitaltern nicht gerade eine Zierde des Landes gewesen sein dürfte? Ihr Name stammt nämlich von dem althochdeutschen Wort „swechante“ ab, und das heißt so viel wie: die Stinkende.Wer sich für dieses Thema interessiert, wird in dem Buch „Lauter Hauptstädte“ von Peter Wehle und Gerhard Bronner fündig werden. Entstanden ist das Buch aus einer Sendereihe, in der Wehle für den ORF Gedichte verfaßte, die sich mit der
Unmittelbar während der Kontroverse zwischen Altbundeskanzler Bruno Kreisky und der derzeitigen Parteiführung der SPÖ erschien das Buch ,.Revolte und Establishment - Die Geschichte des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler 1953-1973“ des Wiener Historikers Wilhelm Svoboda. Wie sicher noch bekannt ist, hat Kreisky beteuert, nur noch bei den Jugendorganisationen Gehör zu finden.Wer das vorliegende Buch genau liest, wird nicht umhin können, diese Aussage Kreiskys zumindest pikant zu finden. Denn gerade dieser Kreisky war es, der wesentlichen Anteil am Niedergang der partei„eigenen“
Der Jude David Goodkind, ein angesehener Wirtschaftsanwalt, wurde Sonderberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten und schreibt nun seine Lebenserinnerungen.Der Präsident, den er berät, ist der sich gerade in die Watergate- Affäre verwickelnde Richard Nixon. Vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Krieges, in dem Goodkind mit einer wichtigen geheimdiplomatischen Aufgabe betraut wird, entsteht ein Panorama der jüdischen Welt Amerikas.So etwa könnte man in kurzen Umrissen das neue Werk von Herman Wouk, „Der Enkel des Rabbi“, charakterisieren. Die Qualität des Romans ist schwer
Im ersten Moment meint man, der falsche Adressat zu sein. Man liest einige Zeilen und glaubt fest, ein Kinderbuch in Händen zu halten. Da die Sprache voll Humor ist und die Pointen treffsicher sind, liest der Rezensent weiter und erlebt sein kleines Wunder. Die Geschichten in diesem Buch sind alles andere als Kindergeschichten. Es sind Geschichten im Kinderton, die aber von Erwachsenen handeln und von ihren vielen schlechten und wenigen guten Angewohnheiten. Und auch die Geschichte vom Osterhasen ist reichlich hintergründig und wohl eher für Erwachsene gedacht.Wovon die Rede ist?Von dem
Jetzt, wo der Winter sich seinem Ende zuneigt, das erste Tauwetter den Schnee von den Straßen verschwinden hat lassen, ist ein Skandal zu vermelden. Gewiß, Skandal ist ein großes Wort. Vielleicht sogar zu groß, mißt man es an der epochalen Bedeutungslosigkeit unserer heutigen Skanda-leure. Und trotzdem erscheint das nunmehr zu Berichtende mit diesem Wort durchaus zutreffend beschrieben.Von besonderer Wichtigkeit ist im Zusammenhang mit unserem Thema die Tatsache, daß es da eine gewisse Abhängigkeit von der Jahreszeit gibt. Der Sommer hat seine Skandale und der Winter hat seine, der
Erst in den letzten Jahren gewinnt auch hierzulande die neue lateinamerikanische Literatur jene Bedeutung, die ihr zukommt. Einer der Vertreter der jungen argentinischen Literatur ist Mempo Giardinelli, dessen Roman „Heißer Mond — Luna ca-liente” nun in deutscher Sprache vorliegt.Giardinelli beschreibt die Verstrickung zweier Menschen, des intellektuellen Ramiro und des dreizehnjährigen Mädchens Ara-celi. Ramiro tötet den Vater des Mädchens, der um diese Beziehung und die Vergewaltigung weiß, die am Beginn dieser Beziehung steht. In der Folge gerät Ramiro in die
Das Wort „Beziehungskiste“ ist mindestens ebenso modern und schrecklich wie die Bücher darüber. Sollte es eine Liste der verbotenen Wörter geben, wäre dafür zu plädieren, dieses Wort unbedingt aufzunehmen.Da es glücklicherweise hierzulande keine Liste verbotener Bücher gibt, bleibt es der freien Entscheidung des Lesers überlassen, solche Bücher nicht zu lesen.Andererseits ist das Wort „Beziehungskiste“ nicht ganz so schlecht. Man weiß sofort: da geht es nicht um eine Liebesge-schichte, sondern um die selbstquälerische Auseinandersetzung mit einer solchen. Meist handelt es
Erstaunlicherweise gibt es eine ganze Menge Menschen, denen es nicht nur wichtig ist, daß sie wichtig sind, .sondern' denen es mindestens ebenso wichtig ist, daß andere um ihre Wichtigkeit Bescheid wissen.Unter diesem Aspekt ist wohl auch das Buch von Peter Ortho-fer zu sehen, jenem Wiener Autor, von dem die Texte für das Kabarett von Hans Peter Heinzl stammen. Er fühlte den inneren Drang, ein Buch mit dem Titel „Wer ist who in Österreich“ auf den wehrlosen Markt zu werfen. Und wenn Orthofer im Vorwort schreibt, daß der „Autor eine Liste der tatsächlichen Kandidaten erstellt,
Immer wieder waren Schriftsteller von den erzählerischen Möglichkeiten fasziniert, die sich bieten, wenn man eine Schachpartie als motivischen Hintergrund verwendet. So weit wie Fernando Arrabal ist jedoch noch keiner gegangen.Hier bestimmt eine Schachpartie zwischen zwei Kandidaten in einem Weltmeisterschaftsturnier das Tempo und die Entwicklung des gesamten Romans. Der eher gefühlsbetonte Tarsis und der kühl analysierende, linksradikale Amary sitzen einander gegenüber und liefern einander den Kampf ihres Lebens.Vor dem Hintergrund der Entführung des sowjetischen Außenministers
Ludwig Harig hat sich auf die Suche nach der Vergangenheit seines Vaters gemacht. Eine Spurensicherung, die bei den Geschehnissen vor Verdun und damit mitten im Ersten Weltkrieg landet.Was eigentlich eine großartige Möglichkeit zur Reflexion vergangener Ereignisse geboten hätte, wird zum zweifelhaften Denkmal für einen durchschnittlichen Mitläufer, der weder besondere Schuld auf sich geladen hat noch durch bemerkenswerte Zivilcourage aufgefallen ist.In einer Zeit, in der das unsäglich banale (weil alle Grenzen verwischende) Wort von der „Gnade der späten Geburt“ um sich greift,
Vorweg: die Veröffentlichungspolitik mancher Verlage ist unergründlich. Der erste Roman von Undine Gruenter, „Ein Bild der Unruhe“, ist ein solches Rätsel, ohne jedoch die Lösung zu verraten. Der männliche Held irrt quer durch Europa und sondert Sexualität ab. Ob die Frau, mit der er dies tut, echt oder nur erträumt ist, verraten weder Buch noch Klappentext. Die Sprachbilder sind falsch, die dauernde Benutzung des Mittelwortes der Gegenwart ist eine Manie, die in trauter Zweisamkeit erfolgende Vergewaltigung einer gefrorenen Leiche stellt eine Geschmacklosigkeit ersten Ranges dar,
Feudale Villa, Dienstboten, Luxuswohnung, Vülenbesetzung, Eigentumsfrage. Lauter Originalzitate. Man sieht: ein politischer, ein — jawohl! — gesellschaftskritischer Roman. Frauen, Objekte zur Befriedigung seiner Lust — mitten aus dem Leben also.Der ermordete Chef hatte ein Verhältnis mit der sechzehnjährigen Tochter des linkslastigen Betriebsratsobmanns. Die entlarvt dafür die Mörder: die böse Konkurrenz aus Amerika, beziehungsweise deren heimischer und ehrgeiziger Statthalter. Die Frau des Betriebsrates hat „viele Kurven und wenig Verstand“. Der Tote hat testamentarisch
Mit dem 1000-Seiten-Werk „Der Parzifal des Wolfram von Eschenbach“ legt Dieter Kühn nach den Büchern über Oswald von Wolkenstein und Neidhart von Reuenthal den letzten Teil seiner Mittelaltertrilogie vor.Die erste Hälfte des Werkes widmet sich „Leben, Werk und Zeit des Wolfram von Eschenbach“. Aufbauend auf Selbstzeugnissen und auf — meist zweifelhaften — Quellen Dritter, versucht Kühn, die Lebensumstände Eschenbachs zu rekonstruieren. Es geht dem Autor dabei weniger um die genaue Beschreibung, wie es wirklich war, sondern darum, beim Leser eine Empfindung für die damaligen
Eigentlich wissen wir Österreicher sehr wenig über unser Nachbarvolk, die Schweizer. Bewußt wird einem das beim Durchblättern des Buches „Grenzraum“, das sich mit dem Tessin, der italienischen Schweiz, beschäftigt. Der von Alberto Nesso herausgegebene Band erscheint gleichzeitig nicht nur in deutscher, sondern auch in italienischer und französischer Sprache.Beiträge über das Wesen der Menschen im Tessin, eine volkswirtschaftliche Betrachtung über die Besonderheiten der Tessiner Ökonomie, ein wenig Lyrik, Auszüge aus Prosatexten einheimischer Schriftsteller - so entsteht das
„Eine Patendlösung wäre... also eine Lösung, die so patent ist, daß sie nicht nur das Problem, sondern auch alles damit Zusammenhängende aus der Welt schafft — etwa im Sinne des alten Medizinerwitzes: Operation erfolgreich, Patient tot.“So steht es in den ersten Zeilen des neuen Buches von Paul Watzlawick, und er will damit jene Sucht des Menschen beschreiben, die nach immer perfekteren und immer endgültigeren Lösungen sucht, um sich dabei letztlich doch nur in immer wieder neuen Irrwegen wiederzufinden. Unter anderem hat dieses Paradoxon damit zu tun, daß der Mensch scheinbar
Paul Wittgenstein, der Neffe von Ludwig Wittgenstein, wurde in den letzten Jahren zu einer sagenumwobenen Figur. Man kann gewiß sein, daß vieles daran Legende ist.Das Buch „Wittgensteins Größenwahn“ von (jamillo Schaefer wird den bestehenden Legenden wohl neue hinzufügen. Mag auch der Mensch Paul Wittgenstein nicht das Genie gewesen sein, für das viele ihn heute gerne halten -die Romanfigur Wittgenstein fasziniert. In einer Erzählung, die keinen Anspruch erhebt, eine minutiöse, historisch richtige Lebensbeschreibung zu sein, entsteht vor uns das Bild eines Mannes, der seinen
Beruhigend ist es, feststellen zu können, daß die Hypertrophie des Buchumfanges auch in anderen Ländern ihre Spuren in der literarischen Welt hinterläßt. Ein typisches Beispiel der Vertreter dieser Gattung ist der fast 1.700 Seiten lange Roman „... und Damen des Klubs“ von Helen Hooven Santmyer.Von 1869 bis 1932 spannt sich der Bogen der Handlung. Ein Frauenklub trifft sich über all die Jahrzehnte hinweg immer wieder und stellt die Veränderungen fest.Die amerikanische Presse meinte, die Autorin mit Tolstoi und Sinclair Lewis vergleichen zu müssen, was wohl einigermaßen
Die meisten herkömmlichen Reiseführer durch Wien leiden daran, daß sie die immer gleichen Klischees wiedergeben und pflegen. Andererseits sind diese Klischees längst auch Bestandteil des Mythos dieser Stadt und insofern nicht ganz wegzudenken.Der Aufgabe zwischen diesen Klischeevorstellungen und der Wirklichkeit zu vermitteln und beiden zu ihrem Recht zu verhelfen, hat sich jetzt ein neues Buch über Wien gestellt. In Beiträgen von rund 70 Persönlichkeiten vorwiegend aus Politik und Kultur werden so gut wie alle Aspekte der Stadt behandelt. Der Bogen der Autoren reicht von Bruno Kreisky
Der Wortgewalt (oder Wortgewalttätigkeit?) der versammelten Juroren konnten die Schreibenden, wie schon so oft beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb in Klagenfurt, kaum Widerstand entgegensetzen. Die gebotenen literarischen Leistungen waren wieder einmal umgekehrt proportional zu den Preisgeldern. Von einem großen Teil der Schriftsteller wird die Kla-genfurter Hinrichtungs-Maschinerie längst boykottiert. So kommen größtenteils Unfertige in den „Genuß“ der Kritiker-Schelte. Die Beurteilungs-Kriterien der Jury sind in keiner Weise erkennbar.Beim Versuch, sich an sie anzupassen,
Die Bachmann-Preisträgerin 1984, Erica Pedretti, hat nun jenen Text vorgelegt, für dessen Auszüge sie damals preisgekrönt wurde.Was sich schon bei den damaligen Lesungen andeutete, nämlich, daß wir es hier mit einer speziellen Bachmann-Preis-Literatur zu tun haben, ist jetzt, nach Vorlage des Gesamtwerkes, offenkundig. Es ist jene spezielle, stets Bachmann^Preis verdächtige Zusammenstoppelung von Manierismen und scheinbar atemlosem Erzählgestus, die sich so gut für die Zeilenschinder der Großfeuilletons eignet.Welch versteckte Pointen man doch herausarbeiten kann! Wie klug man doch
(Theatergruppe Spielraum, Wien; „Die englische Geliebte“ von Marguerite Duras) Dieses Stück macht die Grenzen der Autorin sichtbar. Ergebnis einer zweifelhaften Stückauswahl der sonst so ambitionierten Bühne ist ein langatmiger, quälender Theaterabend, Thema ein Mord in einer französischen Kleinstadt. Die Täterin und ihr Mann werden einer Befragung durch einen unbekannten Dritten unterzogen, wobei die Tatmotive erhellt werden sollen. Die völlige Sinnlosigkeit der Tat stellt sich dadurch heraus, daß die Fragen nicht beantwortet werden können. Die Sprache ist offensichtlich bewußt
Herb und ein wenig abweisend, liegt das Waldviertel im Nordosten unseres Landes. Verschlossen wie die Landschaft scheinen auch die Menschen dieses Grenzlandes zu sein. Und das Waldviertel ist auch dort Grenzland, wo keine Grenze ist. Irgendwie steht es zwischen dem Gestern und dem Heute, ein wenig ratlos, nicht genau wissend, was mit den modernen Zeiten zu tun ist.Man sieht: eine Landschaft für ein Buch, eine Landschaft für einen Schreiber, der es versteht, nicht nur zu sehen, sondern das Gesehene in Worte (wenngleich wohl immer unzureichende Worte) zu fassen.Gisela Corleis unternahm diesen