7024261-1989_05_08.jpg
Digital In Arbeit

Zugsbegleiter Novotny

Werbung
Werbung
Werbung

nach dem Krieg zu alt. Er erinnerte sich an die alten Straßenbahnen, in denen der Schaffner kontrollierend hin- und hergegangen ist, und man in Wahrheit gar kein Schaffner, sondern noch Conduc-teur war. Er erinnerte sich dieser alten, wackeligen Wägen ohne Türen. Damals war es möglich, während der Fahrt auf- oder abzuspringen, imd Novotny konnte ermahnen und zurechtweisen.

Irgendwann haben sie dann die geschlossenen Wägen eingeführt, deren Türen dauernd klemmten. Und eines Tages kam der „Eiserne Schaffner“, wie sie die Fahrscheinautomaten überall nannten. Herrn Novotny gefiel diese Bezeichnung sehr: er hielt Eisen für ein billiges, unedles und minderwertiges Material.

Schönbrunn, bitte rasch aus-und einzusteigen!“ sollte aus dem Lautsprecher tönen. Aber es tönte nicht. Krächzend drangen einige unverständliche Laute an die Ohren der Fahrgäste. Die Lautsprecher waren schlecht, und Novotny nuschelte in die Sprechmuschel. Er nuschelte seit Jahren, doch es störte niemanden, nicht einmal die Fremden, denn sie gaben - bewaffnet mit ihren Stadtplänen — ohnedies nichts auf die meist falschen Auskünfte der Einheimischen.

Novotny war Zugsbegleiter auf’ der Stadtbahn, und sie waren gemeinsam alt geworden. Er würde bald in Pension gehen, imd die,

Stadtverwaltung würde die schönen, alten, leicht verschmutzten, roten Wägen gegen neue austauschen, weniger schöne wahrscheinlich und weniger schmutzige vielleicht auch. Aber wenn es eines Tages so weit wäre, würde Herr Novotny bereits in Pension sein.

Ruckartig setzte der Zug sich in Bewegung. Novotny saß auf dem Fahrersitz im letzten Waggon. Die Kurbeln, mit denen der Zugsführer beschleunigte und bremste, waren abmontiert. Novotny dachte an seine Zukunft. Wenn er erst einmal in Pension war, würde er noch ein paar Jahre treppauf, treppab marschieren und Mitgliedsbeiträge einkassieren, solange es seine alten Knochen noch zuließen, daß er für die Partei arbeitete - für seine Partei.

Ja, sie war seine Partei, seit seiner Jugend, immer schon, und sie würde es immer bleiben. Da konnten die da oben machen, was sie wollten (und das taten sie ja auch). Die jungen Leute, die ließen nach. Vielleicht ließ auch nur die Partei nach. Wer weiß das schon. „Die Jungen sind weder Fisch noch Fleisch“, sagte der Sektionsleiter immer, und der mußte es wissen. Nur die Alten wie Novotny, die waren noch aus Fleisch gewesen. Die hielten die Stellung bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Mann, bis zur letzten Beitragsmarke.

Langsam ratterte der Zug über die Schienen.

Schon als Kind hatte Novotny Motorführer werden wollen. Zuerst war er zu jimg gewesen und

Dank dieser fortwährenden Rationalisierung benötigte die Stadtverwaltung immer weniger Schaffner, und Novotny landete bei der Stadtbahn. Es waren beschauliche Jahre, die Novotny in den Zügen und zwischen den Stationen verbrachte. Das Horoskop des einen Tages glich stets dem des vorhergehenden und unterschied sich katmi von dem des nachfolgenden.

Hatte Novotny in seinen Jugendjahren ärmlich gelebt, so lebte er jetzt bescheiden. Immerhin, es war ein Aufstieg, und Novotny klagte nicht. Er klebte die Marken seiner Partei ins Büchl, und zwischen den Stationen träumte er seinen Kindertraum, Motorführer zu sein. Die Stationen mochte er nicht, denn sie unterbrachen seine Träume und degradierten ihn zum Zugsbegleiter. Aber während der Fahrt war er ein Held, ein kleiner, bescheidener, unausge-reifter Held. Er drehte an den Kurbeln; er streute Sand beim Bremsen; da, eine Gefahr! Ein Mensch auf dem Geleise. Motorführer Novotny zog an allen Registern seines Zugs und seines Könnens; er verhinderte das Schlimmste.

Novotny schämte sich seiner einfältigen Träume und träumte sie doch immer wieder.

„Hietzing, bitte rasch aus- und einzusteigen!“ Aus der Traum. Novotny nuschelte bei der Stationsansage wie immer. Er wollte nicht verstanden werden, er wollte Motorführer sein. Darum krächzte er sein Unglück über die schlechten Lautsprecher der Stadtbahnstationen hinaus in die Welt.

In der U-Bahn, Novotny dachte nur mit Abscheu an sie, in der U-Bahn gibt’s keine Zugsbegleiter mehr, und der Motorführer kann auch nicht mehr viel tun. Er braucht nur mehr auf kleine Lämpchen zu achten, den Rest erledigt ein Computer. Die Stadtbahn hat noch Holzsitze gehabt, in der U-Bahn ist alles Plastik. Novotny begrüßte den Fortschritt, aber er mochte ihn nicht. Immer hatte er auf die Zukunft gehofft, jetzt war sie da, und er verstand sie nicht. In den Jahren, die Novotny darauf verwendet hatte, alt zu werden, war auch seine Partei eine andere geworden. Aber Novotny liebte die Partei immer noch. Mochte es auch eine verschmähte, verschämte Liebe sein, Novotny konnte nicht anders.

Scheinbar alles hatte sich geändert, nur Novotny war Novotny geblieben. Das war schmerzhaft. Nie würde er Motorführer werden. Er legte auch keinen Wert mehr darauf, jetzt, da es die U-Bahn gab mit den blinkenden Lämpchen und den Menschen vom Tonband.

„Karlsplatz, umsteigen in die U-Bahn nachHeiligenstadt!“plärr-ten die Lautsprecher. Novotny hatte nichts gegen die U-Bahn, er haßte sie lediglich. Er haßte sie ihrer guten Lautsprecher wegen.

Novotny dachte an die vielen, vielen Stiegen und Stufen, an die Genossen und an die Beitragsmarken. Zwei, drei Jahre noch würde er Menschen retten und aus seinen Träumen aufschrecken, wenn eine Station in Sicht kam.

Fünftausendvierhundertsechs-undachtzig Beitragsmarken hatte er noch zu kleben. Dann würde sein arbeitsreiches Leben ein stilles Ende finden. Aber davon wußte er noch nichts, und nichts wußte er auch von der kleinen Notiz in der Arbeiter-Zeitung unter Todesfälle. Und hätte er’s gewußt, es würde ihn nicht besonders beunruhigt haben, denn Herr Novotny hatte keine Fahrziele mehr auf Erden.

Erzählung aus dem Band ..Nachtcafė**, der demnächst in der Edition Atelier. Wien, erscheint.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung