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Ein erfundenes Leben

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Es gibt eine Stufe des Menschseins, angesichts der jede Wissenschaft versagt und folglich zu verstummen hat. Es gibt kein ungeeigneteres Objekt der germanistischen Auseinandersetzung als Joseph Roth. Denn was die Germanistik (wie viele andere Wissenschaften) nicht zählen und vermessen kann, hat in ihr keinen Platz.

Joseph Roth, der vor fünfzig Jahren, am 27. Mai 1939, in Paris gestorben ist, war ein nichtintellek-

tueller, ein unrationaler - aber keineswegs irrationaler - Schriftsteller. Jeder Versuch, sich ihm mit den Mitteln wissenschaftlicher Analyse zu nähern, wird scheitern müssen. So wie ein von Geburt an Tauber zwarNotenlesenwirdkönnen, ohne eine Ahnung von Musik zu haben, so steht ein großer Teil der Germanistik heute vor dem schwer einordenbaren Phänomen Roth.

Er hat ein Werk hinterlassen, das nur schwer mit den gewohnten Rastern und Schablonen vermessen werden kann. Politisch vom Revolutionär zum Monarchisten, religiös vom Judentum zum Katholizismus konvertiert, war Roth trotzdem immer sich selbst treu: ein an sich selbst Verzweifelnder, der in keinem Lager stehen wollte und von allen reklamiert wird. Ein an der Welt Zweifelnder, dessen einzige Gewißheit es war, daß nur mehr Gott die Welt vor den Barbaren retten würde können. Und da dieser Gott - Roth ahnte es - dies in der wirklichen Welt wohl nicht auf diese Art tun würde, erschrieb er sich diesen Gott, wie er ihn sich wünschte, in manchem seiner Bücher.

Roth erschrieb sich seinen Gott, sein Leben, seine Realität. Von der “wirklichen“ Wirklichkeit erwartete er sich nichts mehr. Gescheite Germanisten haben - im Verkennen dieses Zusammenhanges - etwa den Roman “Hiob“ kritisiert, wo ein allzu unglaubliches Wunder am Ende alles zum Guten wendet. Sie bemängeln dieses scheinbar willkürlich “hingebogene“ Ende, weil sie eben nicht begriffen haben, daß dies das Wesen Rothschen Weltverständnisses ist. Wenn schon unwirklichen Leben keine Wunder möglich waren - und nur die konnten alles zum Guten wenden - dann wollte er sie wenigstens mit seinen Worten in den Köpfen der Menschen bewirken. Und das war bei Roth eben kein banales Happy-End, sondern die glasklare Darstellung des Menschen, der sich in seiner Welt verloren hat, und den nur mehr ein Wunder retten kann.

Entwicklungen hatten in Joseph Roths Leben keinen Platz - nur großartige Eruptionen. Ob dies zuerst sein Glaube an die Revolution und dann der an die Rückkehr der Habsburger war, blieb gleichgültig. Er glaubte nicht, daß die Menschen Hitler besiegen würden; nur Gott - seinem Gott - gestand er diese Fähigkeit zu.

Joseph Roth lebte auf großem Fuß. Er, der von sich sagte, nichts zu besitzen als drei Koffer, verlebte sein Leben in’Hotels. Und als er kein Geld mehr hatte, wurden bloß die Absteigen immer schäbiger. Er mußte Geld auftreiben für seihe Frau, die in einer Wiener Nerven- klinik untergebracht war, und gleichzeitig sorgte er für seine Pariser Freundin und deren Kinder (die nicht von ihm waren). Ohne regelmäßige Zuwendungen von Stefan Zweig, wäre er wohl nicht durchgekommen.

Daß er in dieser Situation seinem Verlag zumeist schon die zwei nächsten Bücher in Form erhaltener Vorschüsse schuldete, ist begreiflich. Daß er unter diesen Umständen Weltliteratur schuf, ist verwunderlich.

Daß Roth an seiner eigenen Legende schrieb, kann man ihm nicht vorwerfen. Er selbst hielt diese seine eigene Legende wohl für sein eigentliches Leben.

Es muß eine seltsame Runde gewesen sein, die sich am Nachmittag des 30. Mai 1939 auf dem Cimetiėre Thiais unweit von Paris traf, um Joseph Roth, der drei Tage zuvor gestorben war, zu Grabe zu tragen. Graf Trautmannsdorff, als Abgesandter der Habsburger, überbrachte einen Kranz mit schwarzgelber Schleife und der Aufschrift “Otto“. EgonErwin Kisch empörte sich über die Monarchisten, die Ostjuden ärgerten sich über das katholische Begräbniszeremoniell. DieEntzwei- ung der Welt konnte auch angesichts des Todes nicht vergessen und schon gar nicht überwunden werden.

Roth hatte keine Idee von der Welt und keine Theorie von der Literatur. Seine Literatur war sein Leben, seine Welt existierte nur in seinen Büchern, von denen er kein einziges selbst besaß. Der gnädige Tod, den er seinem “heiligen Trinker“ literarisch geschenkt hatte, war ihm selbst nicht gegönnt gewesen.

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