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Vom „Radetzkymarsch“ zur, „Kapuzinergruft“

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Joseph Roth. Leben und Werk. Ein Gedächtnisbuch von Hermann Linden. Verlag Gustav Kiepenheuer, Köln und Hagen. 254 Seiten. — Radetzkymarsch. 413 Seiten. — Die Kapuzinergruft. 223 Seiten. Beide: Verlag Allert de Lange, Amsterdam, und Gustav Kiepenheuer, Köln und Berlin

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Joseph Roth. Leben und Werk. Ein Gedächtnisbuch von Hermann Linden. Verlag Gustav Kiepenheuer, Köln und Hagen. 254 Seiten. — Radetzkymarsch. 413 Seiten. — Die Kapuzinergruft. 223 Seiten. Beide: Verlag Allert de Lange, Amsterdam, und Gustav Kiepenheuer, Köln und Berlin

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Man muß die lange Werkreihe von Joseph Roth — 14 Romane, Erzählungen und drei Essaybände — von den letzten und sein Lebgn vom Ende her betrachten. Dann gewinnt man eine neue, überraschende Perspektive. Nach den Worten des Freundes Hermann Kesten begann Roth als Skeptiker, Neuerer und Revolteur und endete als Gläubiger, Klas6izist und Konservativer. Während der Arbeit an seinem Hauptwerk, dem 1932 erschienenen „Radetzkymarsch“, beschloß er, den Kaiser Franz Joseph im Roman auftreten zu lassen. „Schreibend wurde er ein Monarchist, abhängig so, nach dem Wort Goethes, von den Figuren, die er schuf. Schreibend wurde Roth fromm. Da er glauben wollte, war er — vielleicht — gläubig. In einem neuen Habsburgerreich, innerhalb der katholischen Kirche, glaubte er die Ordnung und die Humanität und die Rettung vor der neuen Barbarei und dem alten Chaos, vor Teufel und Antichrist zu finden.’ Daneben muß man einige Sätze aus dem psychologischen Porträt halten,. das Irmgard Keun in dem von Hermann Linden zusammengestellten Gedächtnisbuch entworfen hat: „Bis zur Erschöpfung 6pielte ei zuweilen die Rolle eines von ihm erfundenen Menschen, der Eigenschaften und Empfindungen in 6ich barg, die er selbst nicht hattq. Es gelang ihm nicht, an 6eine Rolle zu glauben, doch er empfand flüchtige Genugtuung und Tro6t, wenn er andere daran glauben machen konnte. Seine eigene Persönlichkeit War viel zu stark, um nicht immer wieder das erfundene Schattenwesen zu durchtränken, und so empfand er 6ich manchmal als ein wandelndes Gemisch von Dichtung und Wahrheit, das ihn 6elb6t zu einem etwas erschrockenen Lachen reizte.“

Joseph Roth besuchte in seinem Geburtsort Brody in Ostgalizien und in Wien das humanistische Gymnasium, studierte an der Wiener Universität bei Professor Walter Brecht, der 6eine eisten schriftstellerischen Versuche ermutigte, Germanistik, meldete sich freiwillig zum Militär und diente als Fähnrich, größtenteils an der Front, beim 21. Feldartillerieregiment. Das Ende des Krieges und der Monarchie hinderte ihn — der damals schon ein feind aller Revolutionen war —, beim Militär zu bleiben. Von 1923 bis 1931 war Roth: als Feuilletonist bei der „Frankfurter Zeitung’ tätig und fast ununterbrochen zwischen Marseille, Ostende und Warschau untefwegs. 1933 verließ er Deutschland und kam über Österreich und die Schweiz nach Paris. Nun erst war er völlig heimatlos, lebte ausschließlich in Hotels, die längste Zeit — bis zu seinem Tod im Mai 1939 — im Hotel Foyot in. Paris und im Cafe Tournon, an dessen kleinen Marmorti6chen er in seiner winzigen, wie gestochenen kalligraphischen Schrift ununterbrochen schrieb — und trank. Aus diesen letzten Jahren werden über ihn, der seinen Freunden Achtung und Mitleid ein- flößtg, rührende Züge berichtet: wie Roth, der selbst immer in Geldnöten war, noch Ärmeren zu helfen bestrebt war; wie er noch in den letzten Monaten seines Lebens, selbst krank und traurig, unglückliche Emigranten zur Polizeipräfektur begleitete und dort halbe Tage lang mit ihnen wartend saß …

Ein Schleier von Trauer und Melancholie liegt auch über Roths beiden Hauptwerken, dem „Radetzkymarsch“ und der „Kapuziner- gruft’f (1938). Der passive Held des ersten Romans ist der Enkel eines wirklichen Helden, jenes Trotta von Sipolje, der nach der Schlacht von olferino dem Kaiser das Leben gerettet hat. Seither ruht auf dem mit dem Adels- prädijiat ausgezeichneten slowenischen Bauern- geschfecht die kaiserliche Huld. Aber über dem Leben des letzten Trotta, des Leutnants Carl Joseph, steht ein Unstern: er fühlt sich als Werkzeug in der Hand des Unglücks, da er „teils anderen den Untergang bereitete, teils mitgezogen ward von denen, die untergingen“. Sein Tod an der Front während des ersten Kriegsjahres fällt mit dem seines Vaters, des Bezirkshauptmanne6, und dem des Kaisers fast zusammen. Diese letzten Szenen des Buches, die vom herbstlichen Regen verschleiert werden, und das XVIII. Kapitel — der Besuch des besorgten Vaters beim Kaiser in Schönbrunn — 6ind die Glanzstücke im Werk Joseph Roths.

Milj dem Tode de6 Leutnants Carl Joseph erlischt die direkte Linie, an deren Anfang der Held von Solferino steht. „Die Kapuzinergruft“ erzählt die Geschichte eines entfernten Vette|rs von Carl Joseph und reicht von 1914 bis 1939. „Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken’ ist das Leitmotiv bei der Schilderung de6 Lebens in jenen letzten Vorkriegsmonaten. Die Sympathie dieses zweiten Trotta — und wohl auch die des Autors — gehört den östlichen, slawischen Kronjändern, in denen der Hauptteil der Handlung epielt. Um so schärfer hebt sich die Schilderung des hektischen Nachkriegs-Wien mit seinen makabren Typen ab, mit denen das Schicksal des jungen Trotta durch seine Frau verknüpft ist. Ein zweites, schwermütiges Leitmotiv durchtönt diesen Teil des Buches: „Zu sehr verwöhnt aufgewachsen waren wir in dem von den Kronländern der Monarchie unaufhörlich gespeisten Wien … Die bunte Haupt-, Reichs- und Residenzstadt nährte sich ganz deutlich von der tragischen Liebe der Kronländer zu Österreich: der tragischen, weil stets unerwiderten. So viel Weh, so viel Schmerz, freiwillig dargeboten, ais wäre es selbstverständlich, hatten dazu gehört, damit das Zentrum der Monarchie gelte als die Heimat der Grazie, des Frohsinns und der Genialität.“

Damit schließt sich für den aus dem Ö6ten der Monarchie kommenden Dichter der Kreis, und man wird an der subjektiven Richtigkeit und an der Ehrlichkeit seiner Parteinahme und seiner Aussage nicht zweifeln dürfen. Er hat die Zeit, die er zu schildern unternahm, vom Ende her gesehen, das er in einer gespenstischen Szene (die Nacht nach dem deutschen Einmarsch in Wien) schildert. So ist es zu erklären, daß auch im Gesamtgemälde die dunkleren Farben vorherrschen, die natürlich auch -durch das persönliche Schicksal des Schriftstellers Joseph Roth mitbestimmt wurden.

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