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Joseph Roths letzte Ruhestätte

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An einem sommerlich heißen Frühlingstag gedachten knapp 50 Menschen Joseph Roths an seiner neuen Ruhestätte an der Ostgrenze des Ci-metiere Parisien von Thiais im Südosten von Paris. Roth liegt seit 31 Jahren auf diesem Friedhof. Das Gräberregister gibt genauestens Auskunft: Der 44jährige Österreicher wurde aus dem 15. Arrondissement, wo er im Armenspital Necker am 27. Mai 1939 gestorben war, drei Tage später eingeliefert und in einem Metallsarg mit der Nummer 2122 in der Friedhofsmitte beigesetzt. Am 7. Jänner dieses Jahres erfolgte die Um-bettung in die jetzige endgültige Grabstätte. „Joseph Roth, ficrivain Autrichien mort ä Paris en Exil“ und die Lebensdaten, lautet die Inschrift auf der schlichten, polierten Marmorplatte. „A Joseph Roth l'Autriche Reconnaissante“ — mit diesen Worten auf der Schärpe des rotweiß-roten Nelkenkranzes bekennt sich Österreich zu dem „letzten Barden der österreichisch-ungarischen Monarchie“.

Mit dem langsamen Satz aus Paul Hindemiths „Kleiner Kammermusik für 5 Bläser“ leitete das Wiener Bläserquintett die Gedenkfeier ein. Der österreichische Botschafter in Paris, Dr. Ernst Lemberger, sprach als erster von Roth und dem Recht Österreichs auf ihn als einen der Seinen Im supranationalen Universum Roths sollten sich die Österreicher wiedererkennen. Für Roth, den permanenten Flüchtling, der immer auf der Seite jener, die leiden, gewesen sei und der Österreich bis zuletzt die Treue bewahrt hätte, sie sein Tod synonym für den Untergang des Vaterlandes gewesen. Daß Frankreich seinem zeitlos gewordenen Werk wachsende Beachtung schenke, sei besonders erfreulich. Der Sorbonne-Professor Pierre Bertaux wollte weder an den Schriftsteller, noch den Emigranten, noch den Österreicher oder Europäer Roth erinnern, sondern an den Freund Joseph Roth, an dessen Genie zur Freundschaft. Als junger Student war Bertaux ihm in Berlin begegnet und lernte dort von ihm, die Augen offen zu halten. Der exilierte Roth hätte sich als ein Uberlebender, ein Toter, dem noch Aufschub gewährt war, gefühlt. Er sei ein Mann mit Herz gewesen, wie oft tauchten die Worte „Herz“ und „herzlich“ häufig unterstrichen in seiner Korrespondenz auf! Der aus Wien angereiste Dr. Hans Brunmayr vom Unerrichtsministe-rium stellte Roths Werk in den Kontext der österreichischen Literatur,in der die Habsburg-Monarchie weiterlebt. Roth, der subtile Kenner des österreichischen Nationalcharakters, habe einen Humanismus ausgestrahlt, der die Frucht einer spontanen Sympathie für seinesgleichen gewesen sei.

Die letzte und wohl bewegendste Hommage an Roth sprach über das Grab gebeugt, Gabriel Marcel. Eigentliche Freunde seien sie nicht gewesen, er und Roth, wohl aber einander Verstehende. Roths Treue zur Monarchie hätte ihn gerührt, mit dem Österreich von 1914, obwohl er es nicht gekannt hätte, hätte er sich dank Roth tief verbunden gefühlt. Marcels Schlußwort — er hoffe, daß sich eines Tages wieder eine Art supranationale Einheit unter den ehemals verbundenen Völkern bilden möge — bewies, daß dieser gleiche, von Roth so oft ausgesprochene Gedanke weiterlebt. Roth hatte gesagt: „Sie alle, die einander befehden und verfolgen und die Österreich so lange Vaterland nannten, werden erst später erkennen, welche Kraft ihnen der Zusammenbruch verlieh. Mag sein, daß erst Leid, Unglück, Verzweiflung und Vergewaltigung zum Mittler werden wird, der die Völker Habsburgs vereint.“ Der langsame Satz aus Franz Danzis „Bläserquintett in B-Dur“ beschloß die kleine Feier. Roth, einer der großen Erzähler in deutscher Sprache und neben so bedeutenden Österreichern wie Rilke, Werfel, Kafka, Musil, Hofmannsthal, Schnitzler und Broch, wurde — und das berührte seltsam — nur in französischer Sprache, trotz der überwiegend österreichischen Anwesenden, geehrt. Ob sein Grab wie z. B. das Heinrich Heines auf dem Cimetiere Montmartre Pilger anziehen wird, scheint fraglich. Thiais liegt abseits von den Zielen der Paris-Besucher, und den Franzosen ist Roth trotz der Ubersetzung seiner wichtigsten Romane nicht bekannter als die Toten der beiden muselmanischen und israelischen Massengräber und jene unter den namenlosen Soldatenkreuzen auf diesem weiträumigen Friedhof.

• Zwei Breslauer katholische Zeitschriften veröffentlichten einen von Bischof Kominek unterzeichneten Aufruf zur Einsendung von Erinnerungsberichten aus der Zeit des Wiederaufbaues in Schlesien, insbesondere aus den ersten Nachkriegs-jahren.

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