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Die Opfer Kossuths

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Die Arbeitsgemeinschaft Ost in Wien, die sich die Pflege der Geschichtsforschung des europäischen Ostraumes zur Aufgabe gemacht hat, bewies mit der Herausgabe des ersten Bandes ihrer Veröffentlichungen einen guten Griff. Denn mit dem vorliegenden Werk wird tatsächlich — wie es im Untertitel heißt — ein Kapitel, ein sehr bedeutendes und sehr tragisches Kapitel der Nationalitätengeschichte Südost-europai im 19. Jahrhundert dargestellt. Niemand anderer als Otto Folberth, ein Siebenbürger Historiker, der jetzt als Vertriebener in Salzburg lebt, der sich seit Jahren und Jahrzehnten mit der Forschung über Stephan Ludwig Roth beschäftigt und eine Reihe bedeutender Veröffentlichungen über diese Persönlichkeit vorweisen kann, war berufen, auch dieses Werk zu verfassen. Den Mittelpunkt dieses Werkes bildet der Prozeß der Kossuth-Regierung gegen den siebenbürgischen evangelischen Pfarrer und Publizisten Stephan Ludwig Roth, der auf Grund dieses Prozesses zum Tode verurteilt und am 11. Mai 1849 hingerichtet wurde. Dieser Stephan Ludwig Roth, der seine Studienjahre an der Universität Tübingen und bei Pestalozzi verbrachte, hatte nach den Begriffen der Kossuth-Regierung drei Verbrechen begangen: er war für die Gleichberechtigung der Nationen in Siebenbürgen eingetreten, unter die auch die bis dahin rechtlosen Rumänen fallen sollten; er verlangte aber nicht nur die nationale, sondern auch die soziale Gleichberechtigung, indem er forderte, daß die Leibeigenen aufsteigen und die Adeligen von ihrer bevorzugten sozialen Stellung herabsteigen sollten: und er hatte, als am 3. Oktober 1848 ein Allerhöchstes Manifest den ungarischen Reichstag auflöste und seine letzten Beschlüsse für ungültig erklärt, sich dem kaiserlichen General-Feldmarschalleut-nant Puchner (selbst einem Madjaren), zur Verfügung gestellt und war von diesem zum kaiserlichen Kommissär für bestimmte Teile Siebenbürgens ernannt worden. Als die Kossuth-Truppen unter ihrem General, dem Polen Bern, Siebenbürgen besetzten, wurde Roth, obwohl er leicht hätte fliehen können, gefangengenommen und für seine Treue zu Habsburg zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tage hingerichtet. Die Grundlage der Verurteilung bildete ein Gesetz, das erst einige Zeit nach jenem Tatbestand erlassen wurde, auf Grund dessen Roth sterben mußte, dem also rückwirkende Kraft verliehen wurde. (Worauf der tapfere madjarische Verteidiger — allerdings vergeblich — hinwies.)

Stephan Ludwig Roth starb als ein Opfer des wahnsinnigen Nationalismus, den ein Ludwig Kossuth entfacht hatte und der Ungarn schließlich selbst ins Verderben riß. Denn nur zu deutlich geht! aus dem Buch, dessen Titel zwar heißt: „Der Prozeß Stephan Ludwig Roth“ hervor, daß im Hintergrund nicht nur Stephan Ludwig Roth der Prozeß gemacht wurde, sondern auch dem anderen, dem wahren Ungarn, dessen Führer Graf Szecheny, der Freund der Nationen, des sozialen Aufstiegs, der Donaumonarchie war. der vor Gram über die Politik Kossuths in Wahnsinn verfiel. Dieser Nationalismus Kossuths hat Ungarn in die Tragödie von Trianon und in das Verderben von 1945 geführt, ähnlich wie die Politik Bismarcks Deutschland nach Versailles und in die Katastrophe des Jahres 1945 trieb.

„Nationalismus“, sagt der Verfasser am Ende seiner Studie, „kann ein Volk erwecken und beflügeln, er kann es aber auch berauschen und für immer schädigen. Der Nationalismus eines Volkes sollte zum Ziele haben, dessen eigenes Wesen zu pflegen und zu steigern, es sollte sich nie gegen andere Völker richten.“ Stephan Ludwig Roth hatte in seiner letzten Stunde, in seinem Abschiedsbrief, diese Haltung in geradezu klassischer Einfachheit bekannt: „Mit meiner Nation habe ich es wohl gemeinet, ohne es mit den anderen Nationen übel gemeinet zu haben.“

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