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In einem Cafe in Paris
In seinem längst vergriffenen Buch „Meine Freunde, die Poeten" schildert der bekannte deutsche Autor eine letzte Begegnung im Pariser Exil. Roth starb im Jahr 1939.
In seinem längst vergriffenen Buch „Meine Freunde, die Poeten" schildert der bekannte deutsche Autor eine letzte Begegnung im Pariser Exil. Roth starb im Jahr 1939.
Zehn Tage vor seinem Tode sah ich ihn das letzte Mal. Ich liebte Roth und ging gleich nach meiner Ankunft in Paris im Frühjahr 1939 zu ihm und traf ihn um elf Uhr abends. Es waren schon die meisten seiner Freunde fortgegangen. Es saßen da nur noch ein emigrierter Schriftsteller aus Leipzig, ein jiddischer Korrespondent aus Warschau, ein entlaufener Rechtsanwalt aus Prag, der zu Verwandten nach
New York fuhr, ein jüdisch-katholischer Konvertit, eine ehemalige Frankfurter Schauspielerin, die eine ehemalige Freundin Roths wa', und ein Jugendfreund Roths aus Wien.
Vor Roth standen ein oder zwei Gläser mit einer grünen oder gelben Mixtur, und ein halbes Dutzend der Zahluntertassen, nach denen die Pariser Kellner die Zeche ihrer Kunden errechnen. Ich setzte mich neben ihn und sprach mit andern, da fragte er mich plötzlich: „Wovon leben Sie eigentlich, Kesten?"
Er fragte im Scherz, vielleicht auch mit einigem versteckten
Ernst; denn seine Scherze noch trafen oft ins Schwarze.
„Sie wissen ja", antwortete ich, der „alte Rationalist" dem „frommen Katholiken". „Ich lebe von Wundern."
Später gingen die Schauspielerin und der Leipziger Literat, der Jugendfreund und die andern Entlaufenen fort. Roth und ich blieben allein, und „was schreiben Sie?" fragte ich. Und er erzählte mir seine letzte Novelle, die er eben zu Ende geschrieben, die
„Legende vom heiligen Trinker", wie man unter Literaten erzählt, mehr das Technische als den Inhalt, mehr die Bezüge und Kunstgriffe, als die „schönen Stellen".
„Ist das nicht hübsch?" fragte er und strich sich das blonde, struppige Schnurrbärtchen, das er in den letzten Jahren trug, und sah mich mit den trübblauen Augen melancholisch freundlich an und trank langsam einen Schluck und wiederholte: „Ist das nicht hübsch?"
Ich lächelte und sagte: „Hm! Ein wenig Kleist, die Trinkeranekdote, und auch Tolstoi?"
„Eher Tolstoi!" sagte er und lächelte so sanft und trunken. Und sagte: „Die Geschichte wird Ihnen gefallen."
Und er gab mir sein kleines Notizbuch, ein alphabetisches Adressenbüchlein, und bat mich, mein Hotel hineinzuschreiben, er wolle mich bald anrufen. Um halb
zwei Uhr morgens schloß das Cafe, und ich stand auf, um zu gehen.
Mit seiner reizenden und soi-gnierten Höflichkeit stand Roth auf und geleitete mich vor die Tür des leeren Cafes und gab mir die Hand. Seine Gestalt war ein wenig gebeugt, ein wenig schwankend, sein Lächeln so melancholisch gescheit, und die müden, schwimmend blauen Augen, das blonde Schnurrbärtchen und die schönen Hände, seine schon rauhe und so herzliche Stimme... Mein lieber, alter Freund Roth, den ich immer geliebt habe, wie einen älteren Bruder, so nahe mir immer und so sonderbar fremd, der Dichter, den ich noch im beiläufigen Werk liebte und dessen poetische Stimme ich bis in jeden Tonfall kannte ... Er sah so beständig aus, bei allen Spuren des Leidens so dauerhaft freundlich. Sanft und fremd lächelte er mir zu ... Er sagte noch: „Bald rufe ich Sie an..."
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