Das bin doch nicht ich!

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Jeder Roman ein Schlüssellochroman? Philip Roth spielt mit dem biografischen Lesen und entlarvt die Lüsternheit nach echtem Leben.

Ein bekannter Autor schreibt seine Autobiografie und schickt sie an einen befreundeten Schriftsteller, mit der Bitte, ihm mitzuteilen, ob das Buch etwas taugt. Der Freund warnt: "Veröffentlichen Sie es nicht - Sie sind weitaus besser beraten, wenn Sie über mich schreiben, als wenn Sie, akkurat' von Ihrem eigenen Leben berichten."

Der Autor veröffentlicht das Buch trotzdem: mit seinem fragenden Brief an den Freund als Vorspann, mit der warnenden Antwort des Freundes als Epilog. "Tatsachen" ("The Facts") heißt die "Autobiographie eines Schriftstellers" von Philip Roth, die 1988 erschien. Der Freund, dessen Rat eingeholt, aber nicht befolgt wurde, heißt Nathan Zuckerman und ist eine von Philip Roth vor beinahe dreißig Jahren erfundene Romanfigur. Vor zwanzig Jahren starb sie schon einmal, im soeben erschienenen Roman "Exit Ghost" nimmt sie vielleicht endgültig ihren Abschied, aber wer weiß, wie es Philip Roth gefällt.

Nathan Zuckerman hat viele Ähnlichkeiten mit seinem Schöpfer. Das hat ihm den Beinamen "Alter Ego von Philip Roth" eingebracht und dazu geführt, dass es in den letzten Jahrzehnten kaum ein Interview mit Philip Roth gab, in dem dieser nicht nach der Verwandtschaft, nach der Ähnlichkeit befragt wurde. (Oder nach der Ähnlichkeit mit all den anderen Alter Egos, die er erfunden hat: Alexander Portnoy, David Kepesh, Philip Roth …)

Die bequemste Lesart

Philip Roth weiß um das Interesse der Leser an der Person hinter dem Werk und provoziert und unterläuft es zugleich. Er spielt in seinen Romanen mit dem nicht nur den Literaturbetrieb prägenden Zwang nach Enthüllung und Entschlüsselung, nach dieser eigenartigen Sucht und Suche nach dem Autor hinter dem Text, die den Leser oft weit am Text vorbei - statt in ihn hinein führt. "Ich nehme an, Sie ärgern sich, wenn Kritiker Ihre Trilogie als ein direktes Bekenntnis lesen. Zuckerman als Philip Roth. Trotzdem fällt es manchmal schwer, sie nicht in dieser Weise zu lesen." wurde Roth einmal gefragt, und er antwortete: "Stimmt, es fällt leicht, die Bücher so zu lesen. Es ist sogar die bequemste Lesart überhaupt. Sie lesen sich dann wie die Abendzeitung; ich ärgere mich bloß, weil ich keine Abendzeitung geschrieben habe."

Zuckerman hat Sex - also hat Roth auch? (Wer ist die Frau?) Zuckerman verliert sein Gedächtnis - ist es nun auch mit dem Autor so weit? Zuckerman ist nun impotent und inkontinent - ist's der Autor auch? Nun, das traut sich der Interviewer dann doch nicht zu fragen, aber man wüsste es vermutlich allzu gerne. Der literarische Text wird zum Sprungbrett für Mutmaßungen über den Autor, der in seinem Haus in Connecticut sitzt, sich über soviel Unsinn ins Fäustchen lacht und darüber vielleicht den nächsten Roman schreibt.

Person als Fiktion

Das literarische Spiel, das Roth seit Jahrzehnten in zahlreichen Romanen treibt, thematisiert und entlarvt diese Form biografischen Lesens, die taub macht "für Rollenspiele, für Bauchrederei, für Ironie", also: für den Text. Roths Romane erzählen die eigene Person, die eigene Erinnerung als Fiktion. Dass wir und unsere Erinnerungen Fiktion sind, wissen wir schon längst, wir wollen es aber längst nicht so genau wissen. Die Literatur eines Philip Roth lenkt aber beharrlich immer wieder ihren kritischen Blick auf die "Tatsachen" und stellt sie in Frage. Ist eine Autobiografie denn authentischer als ein Roman? Sie ist doch auch "nur" Erfindung.

"Bei Autobiographien gibt es immer einen anderen Text, einen Gegentext, wenn Sie so wollen, zu dem, der präsentiert wird", weiß die Romanfigur Nathan Zuckerman, die den Gegentext zur Autobiografie von Philip Roth schreibt und sie so als Fiktion entlarvt.

Wem glauben Sie mehr: einer Autobiografin oder einem Romanschriftsteller? Und was heißt glauben hier überhaupt? "Ich kann Ihnen als Memoirenschreiber einfach nicht so vertrauen, wie ich Ihnen als Romanschriftsteller vertraue," schreibt Nathan Zuckerman in "Tatsachen" an Philip Roth, "weil, wie ich schon sagte, Ihnen hier von einem sittsamen, sich bürgerlicher Verantwortung und Sohnespflicht bewußten Gewissen untersagt wird, das zu erzählen, was Sie am besten erzählen können. In diesem Buch haben Sie sich die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden und versucht, es mit den Zehen zu schreiben."

Auch eigene Erinnerungen sind Erinnerungen an Vorstellungen, also an Erfindungen. In "Exit Ghost" lässt Roth einige "Zeugen" auftreten: Der eine hat Altersdemenz, es wird immer schwieriger sich zu erinnern, die andere hat einen Gehirntumor und ein dritter weiß gar nichts und projiziert nur, was er finden will. Wer ist ein verlässlicher Zeuge - auch der eigenen Lebensgeschichte? "Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet seine Geschichten", wusste auch Max Frisch.

Suche nach dem Echten

Umso eigenartiger dieser ständige, überall wahrzunehmende Drang, das "wahre" Gesicht eines Autors hinter dem Text zu suchen, die "wirkliche" Geschichte zu erfahren, den "echten" Menschen kennen zu lernen. Das "Bild der Literatur, das man in der gängigen Kultur antreffen kann, ist tyrannisch auf den Autor ausgerichtet, auf seine Person, seine Geschichte, seine Vorlieben und seine Leidenschaften", schrieb Roland Barthes 1968 in seinem oft zitierten und selten gelesenen Aufsatz "Der Tod des Autors". Seine Bestandsaufnahme hat an Aktualität seither kaum verloren, im Gegenteil: Sie stimmt mehr denn je. Es wird gelesen, als wäre jeder Roman ein Schlüsselroman, oder besser: ein Schlüssellochroman.

Manch ein Autor weiß diese Lüsternheit auf wahres Leben und pralle Skandale bestens für sich zu nützen und schwelgt in Selbstinszenierung, der in den Medien großer Platz eingeräumt wird, weil das die Leser offensichtlich lieben.

Keinen Glauben schenken

Aber was für ein Selbst bekommen die Leser zu sehen in Interviews, Porträts, Reportagen? Ist es wahrer, wirklicher, echter als das Selbst einer Romanfigur, erfunden von Philip Roth? Das soll bezweifelt werden. Wenn der amerikanische Schriftsteller Philip Roth, der am 19. März 75 Jahre alt wird, in seinem Roman "Gegenleben" (1986) die Lesererwartungen bricht, weil er ständig die fiktionalen Voraussetzungen untergräbt, ärgert er die Leser, die eine Geschichte erwarten, der sie Glauben schenken können. "Warum ich meine Leser ärgere? Weil das Leben nicht unbedingt einem festgelegten Kurs folgt, einer klaren Szenenfolge, einem vorhersehbaren Muster. Die ärgerliche Form soll diese offensichtliche Tatsache umsetzen."

Es ist nicht bloß ein Spiel für einen Kreis von eingeweihten Literaturinteressierten, wenn die Literatur erzählt: Was als authentisch vorgeführt wird, ist Inszenierung, und es gibt keinen, der nicht täglich sein Leben entwirft, schreibt, inszeniert, formt, erfindet. Was Nathan Zuckerman, die erfundene Figur, über seinen Schöpfer Philip Roth und dessen Autobiografie sagt, gilt für alle, ob Schriftsteller oder nicht: "Meine Vermutung ist, daß Sie so viele Metamorphosen Ihrer selbst geschrieben haben, daß Sie überhaupt gar keine Vorstellung mehr haben von dem, was Sie überhaupt sind oder jemals waren. Was Sie inzwischen sind, ist ein wandelnder Text."

Buchtipps:

Exit Ghost

Roman von Philip Roth. Aus d. Amerikan. v. Dirk van Gunsteren

296 Seiten, geb., € 20,50

Eigene und fremde Bücher, wiedergelesen

Von Philip Roth. Dtsch. v. Bernhard Robben. 378 Seiten, geb., € 25,60

Am 8. März erscheint:

Philip Roth

Bücher und Begegnungen

Von Volker Hage

128 Seiten, geb., € 16,40

Alle: Carl Hanser Verlag, München

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