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Österreicher, Jude und Katholik

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Für die Zeit zwischen den beiden Kriegeii sind die Briefe Joseph Roths eines der wichtigsten Zeugnisse. Was die allgemeine Erkenntnis der Weltlage, der Situation Deutschlands und seiner Emigranten betrifft, war dieser Mann aus Schwabendorf bei Brody, der knapp 45jährig im Pariser Exil starb, einer der hellsichtigsten, weisesten und von den deutschschreibenden Prosaisten einer der soigniertesten. Der flinke und prägnante Schreiber hat neben dem runden Dutzend Romanen in seiner winzigen, wie gestochenen Schrift nach Schätzung des Herausgebers und Freundes Hermann Kesten etwa 5000 Briefe geschrieben. Davon sind nur etwa 500 erhalten geblieben; 450 hat Kesten veröffentlicht und kommentiert.

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Für die Zeit zwischen den beiden Kriegeii sind die Briefe Joseph Roths eines der wichtigsten Zeugnisse. Was die allgemeine Erkenntnis der Weltlage, der Situation Deutschlands und seiner Emigranten betrifft, war dieser Mann aus Schwabendorf bei Brody, der knapp 45jährig im Pariser Exil starb, einer der hellsichtigsten, weisesten und von den deutschschreibenden Prosaisten einer der soigniertesten. Der flinke und prägnante Schreiber hat neben dem runden Dutzend Romanen in seiner winzigen, wie gestochenen Schrift nach Schätzung des Herausgebers und Freundes Hermann Kesten etwa 5000 Briefe geschrieben. Davon sind nur etwa 500 erhalten geblieben; 450 hat Kesten veröffentlicht und kommentiert.

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Fast alle Gegenbriefe fehlen, denn Roth konnte die an ihn gerichteten nicht aufbewahren. Seit seinen Studententagen in Lemberg und Wien besaß er keine Wohnung, keine Bücherschränke, nicht einmal einen Schreibtisch. Er lebte, als Korrespondent verschiedener Zeitungen, hauptsächlich der „Frankfurter”, mit der er nicht glücklich war, von einer Stadt zur andern ziehend, mit drei Koffern. Die meiste Zeit verbrachte er in Paris und in Südfrankreich. Dort fühlte er sich am wohlsten. Im Gespräch war Roth faszinierend, weise wie Sokrates und voller witziger Anekdoten wie ein alter Jude. Intimität und Diskretion bestimmten die Atmosphäre um ihn. So ist auch das Verhältnis zu seinen Briefpartnern.

Roths Briefe sind mit der Aufrichtigkeit des Augenblicks geschrieben, zuweilen sehr offenherzig und temperamentvoll, manchmal mit Berechnung ihres Effekts. Im Umgang sei Roth amüsanter, komödiantischer, poetischer gewesen. Aber die Zeit, in der der Großteil dieser Briefe geschrieben wurde, war nicht darnach. Auch seine persönlichen Verhältnisse waren die prekärsten: eine ständige Misere. Roth war bedrückt von politischen, sozialen, familiären und pekuniären Sorgen. Er brauchte immer viel Geld — obwohl er seinen Gläubigem und Mäzenen gegenüber das Gegenteil versicherte, und er war seit 1933 auch von seinen deutschen Lesern und Verlagen abgeschnitten. Freilich hätte er in Deutschland auch nicht publiziert, selbst wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, und seinem Freund und Gönner Stefan Zweig macht er unmittelbar vor und nach 1933 die bittersten Vorwürfe, daß dieser versucht, dem Insel-Verlag treu zu bleiben. Stefan Zweig half Roth bis zuletzt nicht nur mit Geld, sondern drängte auch darauf, daß er sein Leben ändere, eine Entziehungskur mache und seine Finanzen in Ordnung bringe. Aber Roth, ein Hiob, der sein Leid und sein Unglück laut verkündet, beteuert, daß er seit 1933 täglich acht Stunden lang geschrieben habe, Romane, Novellen, unzählige Artikel, und daß er für sechs Menschen sorgen müsse: für seine geisteskranke Frau und Manga Bell, die von ihrem Mann, einem afrikanischen Häuptling getrennt lebende mit ihren zwei Kindern usw. „Ich bin ja ein Fakir, kein Schriftsteller”, ruft er einmal aus. „Mit lechzender Zunge laufe ich herum, ein Schnorrer mit heraushängender Zunge und mit wedelndem Schwanz.” Das war in den letzten Jahren, und wir sehen hier, wie der stets soig- nierte Roth ein wenig ins Schauspielerische verfällt.

Nun zu Roths Position, wie sie aus diesen Briefen erkannt werden kann: Roth war Österreicher, Jude und Katholik, in seinen späteren Jahren auch Legitimist. Deutschland war ihm auch schon vor 1933 suspekt. Paris ist für ihn die Hauptstadt Europas, der Welt, die ganze Stadt empfindet er als einen einzigen Protest gegen Hindenburg, Preußen, Stiefel und Knopf. Jeder Chauffeur sei hier geistreicher als unsere Schriftsteller —, auch so extreme Urteile kann man bei Roth finden. „Wir sind ein unglückliches Volk”, resümiert er. Aber es wird noch schlimmer kommen. Gerechte und Ungerechte werden unter die Räder geraten: „Ich bin überzeugt, daß den frechen Chuzpe-Juden nichts geschieht, alles Böse aber den wirklich Konservativen.” Hier irrte Roth. Die Juden, meint Roth einmal, seien bei weitem nicht so klug und gefährlich, wie sie die noch dümmeren Antisemiten halten. Der törichteste Fehler des Judentums sei es, sich für den Mittelpunkt der Welt zu halten, „ähnlich wie die .Neue Freie

Presse” “. Aber, so fährt er fort: „Es ist Gottes Sache, der die Juden züchtigt. Er allein hat das Recht dazu. Ein Christ muß die von Gott Gezüchtigten ehren!”

Wo ist ein Ausweg? Roth fürchtet sich, nach Links abgedrängt zu werden. Denn mit der damals modernen Linken hat er längst gebrochen und abgerechnet Hart tadelt er die Un entschlossenheit Thomas Manns, der sich Goethes Objektivität anmaße, und Klaus Mann, den Herausgeber der in Holland erscheinenden Emigrantenzeitschrift „Die Sammlung” rügt er wegen seiner ahnungslosen Rußlandberichte, das sei „verbrecherische Dummheit!” Wo also ist Hoffnung, wo das Heil? Bei Gott, im Schoß der Kirche — und unter den Habsburgem. 1934 verkündete er euphorisch: er habe Mitteilungen, die Habsburger kämen wieder, auch die Wittelsbacher, und sogar evangelische Pastoren, die er sonst gar nicht mochte, träten über …

Das sind entschuldbare Selbsttäuschungen und Illusionen eines Mannes in verwirrter und verwirrender Zeit. Aber überall, wo es um das Menschliche geht, hatte Roth ein untrügliches Gefühl. Nur sich selbst helfen, am Schopf herausziehen, sich vor dem Alkohol retten, das konnte er nicht, obwohl er einmal — an Stefan Zweig — schreibt: „Ich bin nicht nur ein zum Verlorensein neigender, sondern auch ein gescheiter Jud.”

Von den vielen in der ganzen Welt zerstreuten Adressaten seien nur einige wenige genannt. Es sind auch die Empfänger der persönlichsten Briefe: Benno Reifenberg, Bernard von Brentano, Stefan Zweig, die französischen Germanisten Felix und Pierre Bertaux und seine französische Übersetzerin Blanche Gidon. — Solange es keine ausführliche Monographie über Joseph Roth gibt (es existiert auch keine Selbstdarstellung) sind diese Briefe für die nächsten Jahre Ersatz für das Fehlende und die wichtigste Quelle der Joseph- Roth-Forschung, die hoffentlich bald in Gang kommt.

JOSEPH ROTH. BRIEFE. 1911 bis 1939. Herausgegeben und eingeleitet von Hermann Kesten. Kiepen- heuer-&-Wietsch-Verlag, Köln-Berlin. 642 Seiten, DM 48.—.

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