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Digital In Arbeit

Sehnsucht nach Banalem

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Beinahe wäre dieser Artikel nie geschrieben worden. Denn ich hatte Hemmungen. Dabei wollte ich nur das machen, was Hunderttausende andere Leute auch zweiundfünf zigmal im Jahr tun: „Die ganze Woche“ kaufen.

Was würde mein Zeitungsverkäufer bloß sagen? Er war von mir gewohnt, daß ich nur die seriösesten Zeitungen kaufte. Würde es sein Weltbild in unverantwortlicher Weise aus dem Gleichgewicht bringen? Und was war„ wenn ich gesehen wurde? Wie peinlich. Da erinnerte ich mich eines Jugendtricks. Bei uns war die gute, alte „Presse“ immer sehr behebt gewesen. Nicht etwa, daß uns ihre so empfundene Fadesse besonders fasziniert hätte — keineswegs. Aber sie eignete sich so gut zum Wickeln. In ihr verborgen konnte man Comic strips, Playboy und was sonst noch verboten war, an den bohrenden Blicken des Pförtners vorbei ins Internat schmuggeln.

Also fragte ich mit fester Stimme nach Der Presse und gab mit weniger festem Organ zu verstehen, daß ich auch Die ganze Woche zu erstehen wünschte. Ich hatte zumindest einen ersten, rein äußerlichen Sieg über mein Schamgefühl errungen, wickelte das Kleinformat hastig, aber gründlich ins Großformat und wiederholte dies in den folgenden Monaten Woche für Woche. So sicherte ich das Erscheinen dieses Artikels und wußte endlich, wie Walraff, der Heimlichtuer, sich fühlt.

Diese unsagbaren Mühen nahm ich für ein Produkt auf mich, das sich an einer in allen Kaufkraftschichten kongruent innewohnenden Sehnsucht nach dem Schlichten, Einfachen und Banalen orientiert. Lesend quälte ich mich damit ab, mir einen gewissen Hermann Harry Schmitz als Literaturklassiker der Woche unterjubeln zu lassen. Auch daß „die Graugans Milli unbedingt ins Buch der Rekorde will“, wird nur der Tierfeind lächerlich finden. Wo doch dadurch eine alte Journalisten-Regel bestätigt wird: Kind mit Tier ersetzt jede Recherche.

Nur gänzlich Herzlose können noch überheblich lachen, wenn sie mit dem Schicksal der Woche unter dem Titel „Wie ein Bauernhof unter den Hammer kam“ konfrontiert werden: „Und während der Oberpichlbauer auf die Richtige wartete, vergingen die Jahre. Niemand stand in der Küche, niemand führte die Wirtschaft, während er sich ums Vieh kümmerte, niemand gebar ihm Kinder.“ Wen wundert's!

Da hilft nur mehr Lebenshilfe. Ausgerechnet auf der Fernsehseite wird der zitatenarme Leser mit weisen Sprüchen angereichert:. „Grundsätze sind das Höchste, was er gibt. Man muß sie so hoch halten, daß man unter Umständen auch einmal darunter durchkriechen kann“, verkündet ein glücklicherweise nicht sonderlich bekannter Herr Michael Horlacher dem ohnedies über Gebühr grundsatztreuen Publikum.

Wen wundert es, daß nach einigen Wochen die Lesequal durch die quälende Frage „Wer liest so etwas?“ abgelöst wurde. Die Lösung — ich will es gestehen — fand ich zufällig. Da es mich schon seit geraumer Zeit gewurmt hat, regelmäßig Die Presse mißbräuchlich zu verwenden, hatte ich mir ein neues Hobby erkoren. Immer wenn ich jemanden sah, den ich so halbwegs kenne und ihn gleichzeitig mit der Ganzen Woche ertappte, pflegte ich meine Augenbrauen hochzuziehen, mich laut zu räuspern und mit aller Verachtung, zu der ich fähig bin, zu fragen: „Sie (Du) lesen (liest) so ein Blattl?!“, und dabei spreizte ich angewidert die Finger und holte tief Luft. Dann jedoch erntete ich regelmäßig verständnislose Blik-ke der vermeintlichen Leser: „Was heißt lesen? Ich lese doch nicht so eine Zeitung! Aber dasFernsehprogramm ist gut, wegen dem kaufe ich die Zeitung.“

Da hatte ich die Lösung und war ganz schön angeschmiert. Ich hätte es mir denken können: kein Mensch von den zwei Millionen Lesern liest die Ganze Woche. Die kaufen nur das Fernsehprogramm.

Eigentlich könnte ich jetzt meine Strategie auf das Verhalten der Mehrheit ändern und beim Zeitungsverkäufer mit fester Stimme verlangen: „Mein Fernsehprogramm bitte!“ und „Muß ich die ganze Ganze Woche dazunehmen, oder kann ich sie da liegen lassen?“.

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