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Gängelband der Partei

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Unmittelbar während der Kontroverse zwischen Altbundeskanzler Bruno Kreisky und der derzeitigen Parteiführung der SPÖ erschien das Buch ,.Revolte und Establishment - Die Geschichte des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler 1953-1973“ des Wiener Historikers Wilhelm Svoboda. Wie sicher noch bekannt ist, hat Kreisky beteuert, nur noch bei den Jugendorganisationen Gehör zu finden.

Wer das vorliegende Buch genau liest, wird nicht umhin können, diese Aussage Kreiskys zumindest pikant zu finden. Denn gerade dieser Kreisky war es, der wesentlichen Anteil am Niedergang der partei„eigenen“ Jugendorganisationen der SPÖ hatte. Dies ist unter anderem - für den, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht—Gegenstand des Buches von Svoboda.

Der Drang Kreiskys zur Selbstdarstellung war einer der Gründe für die dauernden Konflikte zwi schen Partei und insbesondere dem VSM (Verband Sozialistischer Mittelschüler). Der gänzliche Verzicht auf die alten ideologischen Grundlagen, denen sich gerade der VSM besonders verpflichtet fühlte, barg an sich schon ein beträchtliches Konfliktpotential. Dazu kam ab Mitte der sechziger Jahre ein stark antiautoritärer Einfluß, der durch jene dauernden und demütigenden Unterordnungsrituale verstärkt worden ist, die die SPÖ dem VSM aufgezwungen hat.

So war dem VSM etwa verboten worden, mehr als eine Verbandszeitung herauszugeben (was Svoboda übrigens in seinem Buch verschweigt!), mehr als einen Funktionär zu bezahlen. Und selbst die Verfügungsgewalt über die VSM-Konten unterlag der Kontrolle der Partei.

So wurde der Wunsch, eine par teiunabhängige Organisation zu werden, immer stärker. Einer Partei, deren einziges Programm Kreisky hieß, fühlten sich immer weniger VSM-Mitglieder zugehörig. Nachdem noch dazu die nach außen zur Schau gestellte Liberalität im Umgang der Partei mit den eigenen Mitgliedern von vielen schmerzlich vermißt wurde, waren die Weichen für die Entfremdung zwischen Partei und VSM gestellt.

Mit dem Zerfall der ohnedies schwachen anti-autoritären Bewegung in Österreich entstand insbesondere auf den Hochschulen eine starke, extrem linke Konkurrenz zum VSM. Diese Organisationen hatten vor allem durch ihre Parteiunabhängigkeit eine große Attraktivität gegenüber dem VSM, der von vielen als am Gängelband der SPÖ hängend empfunden wurde.

Für diese Situation hatte die SPÖ unter Kreisky kein Verständnis. Man war nur an einer möglichst unproblematischen Wahlhilfeorganisation für Kreisky interessiert. Daß der VSM lange Jahre das intellektuelle Nachwuchsreservoir der Partei gewesen ist, wurde dabei völlig vergessen.

So steuerte die Parteibürokratie — von Kreisky wohlwollend beobachtet — den VSM in einen Konflikt, der nur mit dem Bruch enden konnte. Svoboda stellt dies in seinem Buch recht genau dar, begeht aber den Fehler, die VSM- Führung als einheitliche Kraft darzustellen, was sie keineswegs war. Er stellt den Bruch zwischen SPÖ und VSM mehr als von „linken Spinnern“ gewollt dar.

In Wahrheit haben sich einige linke Sektierer (eine Minderheit in der VSM-Führung) und eine große Mehrheit von Parteibürokraten zum gemeinsamen Zerstörungswerk gefunden, das jeden sinnvollen Dialog miteinander verhinderte und zum Verlust und zur praktischen Selbstauflösung dieser traditionsreichen Jugendorganisation führte.

Ein weiterer Mangel des Buches besteht darin, daß Svoboda darauf verzichtet, zu zeigen, daß eine Reihe jener Schlagworte, die heute von den Grünen verwendet werden, bereits vor mehr als fünfzehn Jahren im VSM geprägt worden sind. Insbesondere die Ansätze zur Basisdemokratie wurden bereits Anfang der siebziger Jahre in der Organisationsstruktur des VSM ausprobiert (und scheiterten!).

Auch die Grenzen des Wachstums wurden in VSM-Broschü- ren bereits dargestellt, lange bevor sie mm in die allgemeine Diskussion Einlaß gefunden haben.

REVOLTE UND ESTABLISHMENT - Die Geschichte des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler 1953 bis 1973. Von Wilhelm Svoboda. Böhlau Verlag, Wien-Köln-Graz 1986. 254 Seiten, geb., öS 350,-.

Der Verfasser der Rezension war bis 1974 stellvertretender Landesobmann des VSM/ Wien und Geschäftsführer des vom VSM finanzierten österreichischen Schülerzei- tungs-Zentrums (OSZ).

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