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Nehmt mich!

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Sehr geehrte Wahlkommission!

Sie kennen wahrscheinlich die Frau Navratil nicht, aber Sie werden ihr wahrscheinlich schon sehr bald zu größtem Dank verpflichtet sein. Frau Navratil ist nämlich meine Greißlerin und legt mir immer frische Quargeln weg, weshalb ich sie mehrmals im Monat aufsuchen muß.

Diese Gelegenheit ergreife ich immer, um dem Volk aufs Maul zu schauen. Und diese Frau Navratil hat mich darauf hingewiesen, daß Ihr geschätzter Verein einen neuen Obmann sucht. Einen Quereinsteiger, hat die Frau Navratil gesagt, und daß sie eigentlich nicht wisse, was das ist. Ich aber weiß es, weil ich nämlich ein solchiger bin. Ich habe immerhin einen Würstelstand schräg vis-ä-vis von Ihrem Hauptquartier und müßte folglich nur quer zu Ihnen hinübergehen. Und das ist der Grund, warum ich mir selbst eingefallen bin, als von Parteiobmann und Quereinsteiger die Rede war. Ich bin nämlich eine Spitzenkraft der heimischen Wirtschaft und scheue im Gegensatz zu jenen das Risiko nicht. Aber beginnen wir von vome.

Meine ersten beruflichen Erfahrungen sammelte ich in einem Würstelstand am Praterstem und lernte dort Grundlegendes über die überaus verflochtene Weltwirtschaft. Ich war der erste Europäer: meine Speisekarte war fünfsprachig. Auch in den Valutenhandel stieg ich groß ein und machte dadurch - gleich unserem Kanzler -wertvolle Erfahrungen im internationalen Kredit- und Valutenwesen. Ich knöpfte den Deutschen eine Mark um fünf Schilling ab - das muß mir der Vranitzky erst einmal nachmachen.

Bis zum Erreichen des schulpflichtfreien Alters besuchte ich sehr unterschiedliche Ausbildungsstätten im gesamten Bundesgebiet - manche Jahrgänge auch mehrmals - wodurch ich tiefe Einblicke in unser Bildungswesen bekommen habe.

Auch bin ich durch meinen Schulbesuch parteifrei geblieben, weil nämlich die diversen Schuldirektoren bei meinem Anblick immer einen roten Kopf bekamen, meine Klassenvorstände für meine Zukunft schwarz sahen, und ich selbst mich im Lateinunterricht grün und blau ärgerte. Ich habe dadurch Zugang zu allen wesentlichen politischen Strömungen des Landes und bin für jede Koalition zu haben, die mich zum Bundeskanzler macht.

Für Sie wäre es vielleicht noch wichtig zu wissen, daß ich natürlich bereit bin, meine Mundwinkeln bis zu den Ohren erweitem zu lassen, um eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihrem Smiley zu bekommen - corporate identity ist heutzutage schließlich schon der halbe Wahlsieg.

Und was die ökosoziale Marktwirtschaft betrifft, die praktizierte ich an meinem Würstelstand schon zu einem Zeitpunkt, wo kein Mensch wußte, daß es so etwas überhaupt gibt - außer mir natürlich. Meine Würstel sind dank ihres hohen Wassergehaltes schon immer biologisch abbaubar gewesen (was man schließlich nicht von jeder Burenwurst sagen kann!) und meine Vorstrafen wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz zeugen nur davon, daß in diesem Land noch viele Kleingeister das Sagen haben und die EG endlich kommen muß. Sozial war ich sowieso schon immer - bei mir werden auch Sandler bedient, wenn s' ordentlich und sauber gekleidet sind und eine Krawatte tragen.

Bevor jedoch Sie und ich zu meinem Anerbieten freudig ,ja” sagen, muß ich noch ein paar Bedingungen stellen. Erstens will ich das Kanzleramt nach Gumpoldsk i rc hen verlegen, möglichst nah zu meinem Stammheurigen. Ihre Gründerväter hätten dafür sicher größtes Verständnis gehabt.

Zweitens möchte ich eine Generalvollmacht, damit ich mir diese ganzen Sachen wie Abfertigungen und Pensionsansprüche selbst und möglichst diskret regeln kann.

Drittens darf mein Gesicht nicht im ganzen Land plakatiert werden, ich will schließlich auch übermorgen noch in den Spiegel schauen können. Viertens - und das ist das Wichtigste- will ich einen fähigen Generalsekretär meiner Wahl, also gar keinen.

Wenn Sie all diese Bedingungen erfüllen, wäre ich sogar bereit, für die Zeit meiner Obmannschaft Ihrem geschätzten Verein beizutreten. Greifen Sie zu, bevor mich eine andere Partei Ihnen wegschnappt, und bedenken Sie immer: eine Partei, die Sie alle bis heute überlebt hat, kann wahrscheinlich nicht einmal ich umbringen.

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