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Schüsse statt Peseten

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Spanien ist aus seiner sozialen Sommerruhe aufgeschreckt worden: Ein gemeinsames Streikkomitee der illegalen Arbeiterkommissionen und der sozialistischen UGT hat die Bauarbeiter Madrids zu einem einwöchigen Streik aufgerufen. Dem Streik war ein blutiger Anfang beschieden und Erinnerungen an die tödlichen Zusammenstöße der Polizei mit Bauarbeitern vor einem Jahr in Granada drängen sich auf.

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Spanien ist aus seiner sozialen Sommerruhe aufgeschreckt worden: Ein gemeinsames Streikkomitee der illegalen Arbeiterkommissionen und der sozialistischen UGT hat die Bauarbeiter Madrids zu einem einwöchigen Streik aufgerufen. Dem Streik war ein blutiger Anfang beschieden und Erinnerungen an die tödlichen Zusammenstöße der Polizei mit Bauarbeitern vor einem Jahr in Granada drängen sich auf.

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Nachdem bereits einige Tage vor dem Streik der erst 16jährige Student Adolfo Garcia bei der Verteilung von Streikaufrufen überrascht und ins Bein geschossen worden war (laut Augenzeugen von einem Polizisten in Zivil und Ohne vorherige Warnung), ist schon am ersten

Streiktag der 34jährige Bauarbeiter Pedro Patino erschossen worden. Abgesehen von einer kurzen offiziellen Meldung, ist der Presse darüber offensichtlich Schweigen auferlegt worden.

Gleichzeitig aber ist ein Proteststurm losgebrochen. 70 Madrider

Architekten haben In einer Eingabe an sämtliche Minister eine eingehende Untersuchung des Falles gefordert, 300 Ingenieure fordern in einem Schreiben an den Innenminister dasselbe. Der Bund Demokratischer Frauen hat bei der gegenwärtig tagenden Versammlung spanischer Bischöfe und Geistlicher die Unterschriften von bisher 80 Geistlichen und einer Nonne gesammelt.

Wie peinlich die Angelegenheit der Regierung sein muß, geht aus den Umständen hervor, welche die Beerdigung des Erschossenen begleiteten. Die Leiche wurde im Beisein von zwei Polizeibeamten und ohne jede Verständigung der Familie zu unbekannter Zeit beigesetzt. Dem

Wunsch nach einer Autopsie wurde bisher auch nicht stattgegeben.

Spekulation

Dies war der Auftakt zu einem Streik, der von rund 70.000 Arbeitern befolgt wurde, was etwas mehr als die Hälfte aller Bauarbeiter Madrids ausmacht. Die offiziellen Mitteilungen über die Gesamtzahl der Bauarbeiter, welche mit 150.000

angegeben wird, sind irreführend, weil darin auch die Arbeiter der Keramik- und Glasindustrie enthalten sind. Was fordern die Streikenden? Das wichtigste Postulat ist rein sozialer Art: Mindestlohn von 400 Peseten täglich, bei einer 45-Stunden-Woche für die Handlanger, welche die große Mehrheit der Bauarbeiter stellen. Volle Lohnzahlung bei Krankheitsfall oder Arbeitsunfali. Die politischen Forderungen: Amnestie für die verhaft, teten und verurteilten Bauarbeiter, Versammlungsfreiheit und Streikrecht. Die Verhältnisse auf dem Bausektor sind tatsächlich sehr schwierig, verdienen doch Tausende von Bauarbeitern nicht mehr als fünf- bis sechstausend Peseten monatlich. Vergleicht man diese Zahl mit dem vom katholischen Untemehmerver- band veröffentlichten Existenzminimum von 10.000 Peseten für eine Familie mit zwei Kindern in Madrid, so wird die echte Notlage vieler Bauarbeiter daraus ersichtlich. Die Madrider Bauarbeiter stammen meist aus kleinen Dörfern, die im Zuge der Landflucht verlassen wurden. Der geringe Ausbildungsstand macht sie wehrlos gegenüber den Unternehmern. Diese beschäftigen zu minimalen Löhnen 14jährige Handlanger und versuchen verschiedene Auswege, um die Arbeiter nicht in ein festes Arbeitsvenhältnis nehmen zu müssen. Diese bleiben so ewige Gelegenheitsarbeiter ohne jeden sozialen Schutz und ohne Recht auf Arbeitslosenkasse.

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