Es wäre falsch, die mühsam beigelegten Streitigkeiten zwischen Bundespräsident, Bundeskanzler und Außenminister, die jederzeit wieder aufflammen können, nur als Eitelkeiten der Beteiligten abzutun. Dahinter stehen natürlich Verfassungsfragen, die nach dem berühmten Wort des Arbeiterführers Ferdinand Lassalle, stets auch Machtfragen sind. Und wenn die Verfassung keine eindeutige Auskunft über vom ursprünglichen Gesetzgeber nicht vorhergesehene Kompetenzkonflikte gibt, entscheiden die besseren Gutachten oder die besseren Nerven über das, was tatsächlich geschieht. Vorläufig scheint der Bundeskanzler, nach dem EU-Votum und nach Korfu auf einer Welle des Erfolges schwimmend, über das bessere Durchsetzungsvermögen zu verfügen, obwohl er keine spezifisch außenpolitische Kompetenz und auch keine Richtlinienkompetenz wie der deutsche Kanzler besitzt.
Der Bundespräsident versucht, die Kompetenzen, die ihm verfassungsmäßig zustehen und die sicher über das hinausgehen, was die bisher geübte Gewohnheit der Realverfassung war, auszuloten, scheint aber vor einer wirklichen Kraftprobe zurückzuschrecken. Unter diesen Umständen sind weitere Millimeterkämpfe programmiert.
Die Angst vor einem starken I Präsidenten ist weitverbrei-M—ß tet, aber weitgehend unbegründet, fahren nicht die amerikanische und die französische Demokratie, in der die beiden großen Revolutionen der Geschichte stattgefunden haben, gut mit ihrem Präsidialregime, die französische, die sich nach einer Periode des überspitzten Parlamentarismus zu dem durchgerungen hat, was auch der Sozialist Mitterrand nicht ungern ausübt?
Unter der Voraussetzung, daß der Präsident vom Volke abwählbar ist und an den Rechtsstaat gebunden bleibt, kann eine starke Autorität, die noch dazu direkt demokratisch legitimierbar ist, ein Segen für das Volk sein. Nur ehrgeizige Politiker und Oligarchien haben sich vor einer solchen zu fürchten. Die Mischung des demokratischen, des repräsentativen und des autoritären Elements stellt im Sinne von Aristoteles die einer Demokratie bekömmlichsten Kombination dar.
