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Stifters Wissen vom Zerstörerischen im Menschen

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Wer dieses Buch in der Erwartung aufschlägt, sein Adalbert-Stifter-Bild durch Zitate aus dessen Briefen erweitern zu können, wird einigermaßen überrascht sein. Die ausgewählten Textstellen lassen einen Stifter erkennen, der gern ißt und trinkt, gegen das Linzer Leitungswasser wettert und sich so nebenher Gedanken über das Unrecht macht, das ihm gewisse Kritiker zufügen. Nur selten ist vom zeitgenössischen Erziehungswesen und von der Natur die Rede, deren Darstellung Stifter sich bekanntlich ein Leben lang in Bild und Wort gewidmet hat.

Es mag allerdings sein, daß der oberösterreichische Grafiker Christian Thanhäuser, Aussteiger und Buchdrucker in einem, jenen Textstellen bewußt ausgewichen ist, die seine Holzschnitte dem Verdacht hätten aussetzen können, bloße Bebilderungen Stifterscher Landschaftsbeschreibungen zu sein. In der Tat hat sich ja die Landschaftsmalerei von den fast tödlichen Schlägen der Abstrakten seit der Jahrhundertwende noch immer nicht ganz erholt. In den Arbeiten Thanhäusers lebt jedoch eine starke, überzeugende Ausund Weiß. Andererseits ein dynamisches Pendeln zwischen Amorphen und der Gestalt. An jenen Stellen, wo diese Gestalt-haftigkeit am deutlichsten hervortritt, werden menschliche Formationen sichtbar: Häuser und Dörfer. Die menschliche Gestalt selbst bleibt allerdings ebenso wie in Stifters Ölbildern völlig im Hintergrund. Da wie dort scheint der Mensch ausgespart aus der Natur.

Bei Stifter war dafür seine Ehrfurcht vor der Erhabenheit der Schöpfung verantwortlich, vielleicht aber auch ein Vor-Wissen um die destruktive Kraft menschlichen Handelns, das sich in folgender Briefstelle äußert: „Meine teure Freundin, die mich so oft erfreut, geliebt hat, die Natur, auch diese hat ihr Antlitz geändert, seit man weiß, daß Menschen in ihr umhergehen, die so sind wie sie eben sind" (1851). 140 Jahre später, bei Thanhäuser, steht an Stelle des Menschen ein entlaubter Baum.

NUR DAS LEBEN LASSEN WIR DANN BLEIBEN. Aus den Briefen von Adalbert Stifter. Mit Holzschnitten von Christian Thanhäuser und einem Vorwort von Uwe Dick. Edition Thanhäuser, Ottensheim 1990. O. S., öS 490,-.

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