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Symbol Heß

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Mehr als 40 Jahre verbrachte Rudolf Heß im Spandauer Gefängnis. Eine kafkaeske Situation: Ein Mann in einem Bau mit 600 Zellen, bewacht von Soldaten der vier Siegermächte. Jetzt starb er als 93jähriger, krank und fast blind.

Rudolf Heß, der „Stellvertreter des Führers”, war ein Symbol: Für die Sieger war er die Personifizierung alles dessen, was am Nationalsozialismus verabscheuenswert war. Ein Relikt, das unter Verschluß gehalten werden mußte. Für andere war Heß ein Opfer der Politik der Sieger. Warum gerade der Mann, der im Mai 1941, vor dem Angriff auf Rußland, mit einer Friedensbotschaft nach England geflogen war, als der Repräsentant des Nationalsozialismus galt, der keiner Gnade würdig war — das hat immer zu Spekulationen Anlaß gegeben, daß der ,J?all Heß” ein Geheimnis berge, das die Engländer auf keinen Fall preisgeben wollten.

Hugo Portisch bemerkte dieser Tage im Fernsehen, sein Team habe keinen Zugang zu englischen Archiven bekommen, als es für die TV-Serie „Österreich II” Details zum ,^Fall Heß” recherchieren wollte. David Irving, der britische Historiker, der immer eigenwillige Thesen parat hat, wenn es gilt, entlastende Argumente für NS-Größen zu finden, beruft sich auf geheime Archivquellen, die er erschlossen haben will, wenn er sein Land anklagt: „Wir lockten Rudolf Heß in die englische Falle.” (,JDie Weltwoche” vom 26. April 1984)

Alfred Seidl, der Verteidiger des .Jführer-Stellvertre-ters” beim Kriegsverbrecher-Prozeß in Nürnberg, hat vor zwei Jahren ein Buch mit. dem Titel „Der verweigerte Friede” veröffentlicht. Der CSU-Politiker stellt darin die These auf, Heß sei als Parlamentär nach England gekommen, um Waffenstillstandsverhandlungen einzuleiten. Unter dem Einfluß der Politik des amerikanischen Präsidenten Roosevelt seien aber die Kriegsziele der Alliierten schon so präzisiert und weit gesteckt gewesen, daß Heß mit seiner Mission habe scheitern müssen ...

.Antwort aus Zelle sieben” ist der Titel einer Sammlung von Briefen, die Rudolf Heß aus Spandau an seine Familie schrieb. Vor 20 Jahren wurde dieser Band ediert. Da heißt es, daß die deutsche Jugend „zu unseren Lebensansichten” zurückfinden werde. Heß betont, daß seine Ehre ihm mehr bedeute als seine Freiheit.

Jetzt ist er tot, und es besteht Gefahr, daß sich die Tendenzen verstärken, ihn zu einem Symbol zu stilisieren. Der Tote von Spandau könnte gefährlicher werden als der lebende Rudolf Heß.

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