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Thomas und die Psychiatrie

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Thomas von Aquin und das gesamte Lehrgebäude der Scholastik schienen im 20. Jahrhundert in der Welt der Wissenschaft hoffnungslos veraltet und überholt zu sein. Nun aber bahnt sich eine Renaissance des Menschenbildes des Aquinaten an. Die FURCHE sprach darüber mit dem Pastoralmediziner Dozent Gottfried Roth. Das Gespräch führte Linda Elias Blanco.

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Thomas von Aquin und das gesamte Lehrgebäude der Scholastik schienen im 20. Jahrhundert in der Welt der Wissenschaft hoffnungslos veraltet und überholt zu sein. Nun aber bahnt sich eine Renaissance des Menschenbildes des Aquinaten an. Die FURCHE sprach darüber mit dem Pastoralmediziner Dozent Gottfried Roth. Das Gespräch führte Linda Elias Blanco.

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FURCHE: „Durch Positivismus und Marxismus war die Scholastik ziemlich in den Schatten gedrängt. Inwieweit hat nun gerade die Psychiatrie auf Thomas wieder zurückgegriffen?"

ROTH: „Bereits Karl Jaspers schrieb: .Die Beschäftigung mit der Psychologie des Thomas lohnt sich noch heute … die hochmittelalterliche Psychologie ist zwar in vielem andersartig, aber unserer heutigen Anschauung nicht so fremd, wie dies von Leuten, die sie nicht kennen, jeweils behauptet wird.

Diese Erkenntnis hat eigentlich schon viel früher in Wien ihren Aus-

gang genommen. Vor allem Rudolf Al- lers hat sich mit Einzelproblemen aus den Fragenkreisen Autorität, Angst und Liebe als Gemeinschaftslösung auf Thomas bezogen.

Die in der Psychiatrie wiederbelebte Diskussion über das Verhältnis von Leib und Seele hat ebenfalls auf Thomas von Aquin zurückgegriffen. In Wien fand dies in einem lang andauernden Gelehrtenstreit zwischen Albert Mitterer und Albert Niedermeyer über die Beseelung des menschlichen Embryos statt. Im Rahmen der psychiatrischen Existenzanalyse nähert sich Frankl ebenfalls thomasischen Gedankengängen.“

FURCHE: „Hat sich Thomas von Aquin auch mit der Krankheit an sich auseinandergesetzt?’’

ROTH: “Ja, vor allem mit dem Krankheitserleben, Krankheit als Leid, besonders aber mit den Geisteskrankheiten: Weil die Seele die Form des Leibes ist, folgt daraus, daß das Sein von Seele und Leib eines ist. Wird also der Leib durch ein körperliches Gebrechen gestört, so wird auch die Seele behindert, insofern sie ihr Sein im Leibe hat.

Bei Thomas heißt es, .Die Seele ist das Bewirkende im organischen Körper und nicht nur in einem seiner Organe’. Sein Hauptverdienst ist es, daß er die substantielle Einheit Leib-Seele hervorgehoben hat, wogegen Descartes einen Schnitt zwischen Seele und Leib, Geist und Welt vollzogen hat.“

FURCHE: „Aber die Scholastik beruht doch auf der Zweiteilung von Seele’ und Körper."

ROTH: „Bei Thomas gibt es keine Unterordnung des Leibes im abwertenden Sinn, es gibt keine Seele als Er- , scheinung körperlicher Vorgänge. Selbst eine moralische Fehlhaltung hat ihren ganzheitlichen Ort. Descartes aber bedeutet Trennung der Einheit Mensch. Thomas von Aquin bietet in der Psychiatrie, die immer Natur- und Geisteswissenschaft ist, ein Leitbild der hierarchischen Ordnung der Leib- Geistseele-Einheit des Menschen.“

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