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Übrig blieb nur Unnatur

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Die ehemals bunte Landschaft war grau und leer. Trüb und fahl ragten vereinzelte kahle Bäume gegen den Himmel. Ein paar Vögel umkreisten diese letzten Uberreste des Waldes.

Lieblich war das Tal, versteckt hinter den Bergen. Sonnig wellte es sich hügelauf hiigelab bis hin zu dem verborgenen See. In jeder Pflanze, in jedem Tier blühte die Liebe und verblühte nie. Jahrhundertelang blieb es unentdeckt.

Bis eines Tages der Mensch das unbekannte Tal entdeckte: „So ein schönes Tal kann man doch nicht so lassen. Einfach sein lassen, ohne es zu nutzen!” Und in seinem Drang, alles nutzen zu müssen, nutzte er seine Chance, im letzten stillen Tal.

Die Experten des Landes entwarfen und verwarfen Pläne, bis man sich darauf einigte, daß die Zukunft in der Fremdenverkehrserschließung liege. Aus dem paradiesischen Tal sollte ein paradiesisches Erholungsgebiet werden.

Jeder, der die Natur in ihrem natürlichen Zustand erleben wollte, sollte natürlich die Möglichkeit bekommen, das naturbelassene Tal zu sehen: Straßen wurden gebaut, Häuser errichtet und Erholungseinrichtungen geschaffen.

Anfänglich waren noch mehr Tiere als Menschen, mehr Wiesenwege als Asphaltstraßen und mehr Bäume als Häuser im Tal. Und es war noch ein wirkliches Erholungsgebiet.

Doch dann kamen immer mehr Menschen, die immer mehr Erholung brauchten, weil sie immer weniger arbeiten mußten: Ein Baum nach dem anderen fiel, ein Tier nach dem anderen mußte fliehen, eine Wiese nach der anderen wurde verdrängt.

Tausende Urlauber kamen und gingen, um wiederzukommen. Der Touristenboom brachte die Wirtschaft zum Blühen, die Wiesenblumen jedoch zum Verblühen. Bis eines Tages ein Mensch, der noch ein Mensch geblieben zu sein schien, entdeckte, daß es in dem Tal der Natur keine Natur mehr gab. Er ging und kam nie wieder.

Zuerst war es dieser eine, der ging, dann waren es zwei, drei, die ausblieben und dann immer mehr, die nie wieder kamen. Das einstmals stille Tal wurde wieder zum stillen Tal. Die Menschen kamen nie wieder. Doch die Natur auch nicht. Aus dem natürlichen Land war ein unnatürliches Land geworden, aus der Natur Unnatur.

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