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Vom Protest zur Anpassung

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Die Kulturpolitik in der DDR ist in letzter Zeit viel subtiler geworden. Affären ä la Biermann und Rainer Kunze haben selbst die hartnäckigsten und verstocktesten Genossen zum Umdenken gezwungen. Nach außen hin zumindest. Bücher werden nicht verboten. Im Gegenteil, man druckt Auszüge sogar in literarischen Zeitschriften ab. Die Öffentlichkeit jedoch erfährt nur wenig. Die Auflagen sind gering, die attraktiven Schaufensterplätze werden systemkonformen Publikationen reserviert. Eine scheinbare Ruhe und Freiheit ist eingekehrt.

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Die Kulturpolitik in der DDR ist in letzter Zeit viel subtiler geworden. Affären ä la Biermann und Rainer Kunze haben selbst die hartnäckigsten und verstocktesten Genossen zum Umdenken gezwungen. Nach außen hin zumindest. Bücher werden nicht verboten. Im Gegenteil, man druckt Auszüge sogar in literarischen Zeitschriften ab. Die Öffentlichkeit jedoch erfährt nur wenig. Die Auflagen sind gering, die attraktiven Schaufensterplätze werden systemkonformen Publikationen reserviert. Eine scheinbare Ruhe und Freiheit ist eingekehrt.

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Was aber erstaunt, ist, daß selbst kritische Autoren sich von der Scheinliberalen Taktik übertölpeln ließen und sich einer Zensur unterwarfen, die heimlicher und um so besser wirkt. Staub wird in der DDR kaum mehr aufgewirbelt.

Bestes Beispiel dafür: Martin Stade. Er hat mit seinem Roman „Der König und sein Narr“ (FURCHE Nr. 49/1977) eine in der Vergangenheit spielende, hinter Metaphern versteckte, ätzende Kritik an der heutigen DDR geübt. Mit dem Erfolg, daß man sein Buch zwar druckte, aber nie an die Öffentlichkeit gelangen ließ. Erst die westdeutsche „Deutsche Verlagsanstalt“ hat das Buch aufgegriffen und in der Bundesrepublik damit einen sensationellen Erfolg geerntet.

Jetzt liegt das neueste Werk von Sta.de vor. Und es zeigt ganz deutlich die Wandlung eines Schriftstellers, der ausgezogen war, ein System zu kritisieren und schließlich wieder heimgeholt würde - als braver Bürger, der sich anpassen kann, wenn man es von ihm verlangt. Die „weiche Kulturwelle“ und die Taktik der Vorzensur haben zum Erfolg geführt. Stade wurde sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Ein verlorener Sohn ist wieder in den (kommunistischen) literarischen Olymp aufgenommen.

„Vetters fröhliche Spuren“ heißt die Erzählung. Und anfangs geht Stade scheinbar auch in diesem Buch mit derselben Taktik gegen das DDR-System vor. Mit Verklausulierungen, mit versteckten Angriffen, die hinter Metaphern fast poetisch wirken.

Es sind die Träume eines alten Mannes, der ein Pferd zum Schinder bringen muß. Ein psychologisches Himmelfahrtskommando, denn dieser alte Mann, ein armer Bauer, hat es nie selbst zu einem Pferd gebracht. Er mußte sich mit einem Ochsengespann begnügen. Ein Pferd blieb sein Wunsch, Symbol für nie erreichte Macht, für nie erreichtes Glück. Und der Gang zum Schinder wird zum Leidensweg, zur Verdeutlichung einer Vergangenheit, die keine Zukunft mehr hervorbringen kann. In einem Traum projiziert der Mann noch einmal alle seine Wünsche in das Pferd, stellt sich vor, wie es seinen Acker bestellt, wie es ihn in einer Kutsche in Orte bringt, von denen er nur gehört hat. Die für ihn genauso unerreichbar waren, wie Reichtum und Zufriedenheit Die Illusionen eines Menschen, dem das Träumen abgewöhnt worden ist, dem man die Chance des Spielens, des Sich-Erhebens über die Wirklichkeit genommen hat.

Zum Schluß resigniert er und liefert das Pferd ab. Es wird geschlachtet. Pferdedecke und Sattel wirft der Alte in den Fluß. Die Reste einer Illusion schwimmen davon. Mit einem Schlag bricht die Wirklichkeit ein.

Hier macht Stade plötzlich eine Kehrtwendung, hier flüchtet er in Harmonie. Denn der Alte „findet zu sich“, erkennt seine Umwelt als ihm adäquat an. Er verwirft seine Träume, seine Wünsche. Als seien sie gar nicht legitim, sondern Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Hier wird der Anspruch auf Menschlichkeit und Individualität nicht mehr gestellt. Nicht mehr die Hauptfigur resigniert, sondern der Autor selbst unterwirft sich freiwillig einem Zwang des Ausgleiches. Und da wird die Erzählung auch unglaubwürdig, verflachen die Metaphern und Bilder. Eine Erzählung, die so bitter, so versteckt traurig begonnen hat, findet zu einem schlechten guten Ende, das letztlich eine Zeit und ein System rechtfertigt, gegen das der Autor einst angetreten war.

VETTERS FRÖHLICHE FUHREN. Erzählung von Martin Stade, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1978,135 Seiten, öS 124,80.

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