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Vom tschechischen Volks-Geist

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Ein Versuch, sich den NichtTschechen verständlich zu machen" in bezug auf ethnisch-kulturelle Eigenart, weckt Befürchtung und Hoffnung zugleich: wenn es denn gelänge, zwischen naiver Glorifizierung und zynischer Persiflage des sogenannten Nationalcharakters hindurchzulavieren, wäre ja mit einer „zu den gängigen Auffassungen querstehenden Sicht der tschechischen Geschichte die Voraussetzung für eine künftige Diskussion" geschaffen, die gerade jetzt zur Iden-titätsfmdung der jungen Tschechischen Republik in einem zu erneuernden Europa an der Zeit ist.

Die Herausgeber des fünften und letzten Bandes der Ausgewählten Schriften von Jan Patocka bestätigen dies dem böhmischen Philosophen in ihrem informativen Nachwort. Sein Versuch eines kompetenten, für ihn als Phäno-menologen selbstverständlich historischen Nachdenkens über das nationale Leben, über Politik und Kultur (gelegentlich auch Unkultur) seines Volkes wird noch einmal abschließend in fünfzehn Beiträgen dokumentiert und dabei wird sein mutiges Eingreifen ins

Tagesgeschehen, sein persönliches Einstehen für die von ihm geforderte verantwortetet Freiheit aufgezeigt. Als Patocka am 8. März 1977, fünf Tage vor seinem durch staatliche Drangsalierung verursachten Tod, erklärte: „Von der Charta 77 kann man erwarten, daß eine neue Orientierung in unser Leben kommt", hätte er sich wohl nicht träumen lassen, welch weltweite Umwälzung er an der Seite Vaclav Havels mitinitiierte!

Diese eher (tages)politischen Perspektiven werden freilich durch genuin philosophische Titel und Themen ergänzt; dabei steht entweder die Geschichte der Philosophie im Mittelpunkt oder „Die Philosophie der tschechischen Geschichten", unter anderem aus dem Blickwinkel Frantisek Palackys. Schließlich fehlt auch eine Betrachtung „über die soziale Situation in Böhmen" nicht, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Josef Jungmann und Bernhard Bolzano recht kontrovers gesehen wurde.

SCHUFTEN ZUR TSCHECHISCHEN KULTUR UND GESCHICHTE

Von Jan Patocka Hrsg. von Klaus Nellen und Milos Pojar. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 199). )71 Seiten, öS 1.212,-.

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