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Vor dem Ende des letzten Kondominiums?

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Wenn man vom Bodensee absieht, von welchem bisher noch immer - trotz gegenteiliger Abhandlungen des Vorarlberger Verfassungsrechtlers Klaus Berchtold - gilt,, daß er im Bereich zwischen Österreich und Süddeutschland ein Kondominium zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich sei, gibt es heute nur noch ein einziges Kondominium auf der Welt: die Neuen Hebriden. Sie sind gemeinsam von Großbritannien und Frankreich verwaltet und regiert, ihre Bevölkerung ist den Australnegern zuzuordnen. Die Ausdehnung der Inselgruppe, die noch aktive Vulkane aufweist, ist enorm, denn sie reicht vom 13. Breitengrad im Norden (lies Torres) bis über den 20. Breitengrad im Süden (Insel Anatom), also über 900 Kilometer. Prachtvolle Bilder dieser einzigartigen Landschaft bringt ein voriges Jahr in Papeete erschienenes, in Japan gedrucktes, aber in Frankreich vertriebenes Buch „Les Nouvelles Hėbrides”. Die Tatsache, daß die Neuen Hebriden ein Kondominium sind, hat bisher kaum Schwierigkeiten mit sich gebracht. Es gibt je einen Hohen Kommissar Frankreichs und Großbritanniens, die beide einander nicht weh tun. Daher sind die Neuen Hebriden, deren einzelne Inseln nur durch einen regen Flugverkehr miteinander in Verbindung stehen, zu einem Steuerparadies geworden wie Liechtenstein. Tatsächlich werden Holdings und Sitzgesellschaften nicht selten von den Bahamas via Panamä und Jersey mit Liechtenstein gekoppelt, und von Vaduz aus wiederum mit Port Vila auf der Insel Etatė (V atė) auf den Neuen Hebriden, wo die Firmenschilder so häufig sind wie in Liechtenstein.

Dieses Idyll geht nun seinem Ende zu. Die Entkolonialisierung greift auch auf den Neuen Hebriden Platz. Obwohl die Inselbewohner teilweise noch im Steinzeitalter leben, gibt es doch auch solche mit sehr fortgeschrittenem Bildungsstand. Diese wollen die Inselgruppe unabhängig machen und natürlich auch Mitglied der Vereinten Nationen werden, obwohl die Bevölkerungszahl nur 93.000 beträgt.

Nach 60 Jahren Herrschaft der beiden Kolonialmächte wurde 1975 unter Einführung des allgemeinen und direkten Wahlrechtes eine Repräsenta- tiv-Versammlung gewählt, die aber bereits am 29. März 1977 wieder aufgelöst wurde, da die Vanuaaku-Partei es ablehnte, an den Beratungen teilzunehmen. In Wirklichkeit handelt es sich um ein ethnisches Problem. Auf der einen Seite sind anglophone Stämme am Werk, auf der anderen frankophone. Im November 1977 sollen Neuwahlen stattfinden, bei welchen wieder die anglophonen und die frankophonen Einwohner einander gegenüberstehen werden. Bis dahin gilt ein „internes Selbstbestimmungsrecht”, die Eingeborenen können intern über ihr Schicksal autonom entscheiden, nach außen hin freilich nicht. Sie streben aber die endgültige Sezession an, und sowohl Großbritannien hat ihnen in der Person des Experten Wallace, wie Frankreich in jener des Experten Mouradian, Fachleute geschickt, die ihnen den Übergang zur vollständigen Unabhängigkeit erleichtern sollen.

Interessant ist auch, daß die politischen Parteien samt und sonders sich auf ihr Recht auf die angestammte Heimat (terre des ancėtres) berufen, die sie in Freiheit beherrschen wollen. Die sprachlichen wie auch die religiösen Gegensätze (zwischen frankophonen Katholiken und anglophonen Presbyterianern) lassen aber kaum erwarten, daß die Neuen Hebriden, in eine noch ungewohnte Freiheit entlassen, etwas anderes sein werden als ein neuer Krisenherd, auf den sich vermutlich die Sowjets mit Wonne stürzen werden, denn in diesem Teil der Welt besitzt die UdSSR noch keine militärischen Stützpunkte.

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