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Weiningers M + W

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Der Wiener Otto Weininger wurde 1880 geboren und konzipierte den Grundgedanken seines Hauptwerkes bereits als Student. Aus der Dissertation wurde ein sensationeller und „ansteckender" Wälzer, der mit dem umfangreichen Anmerkungsapparat über 600 Seiten umfaßte. Weiningers zunächst empirische Beobachtung, aus der er dann aber eine umfassende Theorie und Weltanschauung machte, war, daß der Mensch, seine Psyche, sein Charakter und seine Anlagen, aus männlichen und weiblichen Elementen zusammengesetzt ist.

Weiningers Manie, die man auch als Phobie bezeichnen kann, ist, daß das weibliche Element in allen seinen Ausprägungen das Negative, das „Böse" ist, während alle positiven Eigenschaften - das Kreative vor allem, aber auch Gewissen, Verantwortung, Persönlichkeit, Gefühl für Kontinuität und Würde selbstverständlich männlich sind. Zum Glück gibt es „M", wie Weininger immer verkürzend schreibt, und „W" in Reinform nicht, sie treten in jedem Menschen gemischt auf, und auf die Mischung kommt es an.

Das merkwürdige, von genialer Begabung zeugende Buch hat seinerzeit viel Aufhebens gemacht und ist auch heute noch geeignet, unreife Menschen zu beunruhigen. So verschiedene Geister wie Wittgenstein, Strindberg und Karl Kraus hatten von dem Buch eine hohe Meinung, Ferdinand Ebner hielt es für schädlich. Aber das erste und radikale Urteil hat Weininger selbst abgegeben, indem er sich 1903, knapp nach Erscheinen der vollständigen Ausgabe seines Buches, als 23jähriger erschoß.

GESCHLECHT UND CHARAKTER. Von Otto Weininger. Matthes & Seitz Verlag, München 1980.667 Seiten, öS 261.80

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