Brigitte Bierlein starb genau fünf Jahre nach ihrer Angelobung als Kanzlerin.  - © Foto: APA / Hans Klaus Techt

Brigitte Bierlein: Die andere Kanzlerin

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Brigitte Bierleins Leben war geprägt von Professionalität und Zurückhaltung. Der Einfluss Österreichs erster Bundeskanzlerin bleibt über ihren Tod hinaus bestehen.

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Brigitte Bierleins Leben war geprägt von Professionalität und Zurückhaltung. Der Einfluss Österreichs erster Bundeskanzlerin bleibt über ihren Tod hinaus bestehen.

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Sie habe „einen gewissen gesunden Ehrgeiz“, meinte sie einmal über sich selbst. Doch in diese politischen Höhen mit solch dünner Luft aufzusteigen, hatte Brigitte Bierlein keineswegs als Ziel. Zögerlich und selbstzweifelnd – wie allzu viele Frauen: So reagierte die damalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen sie Ende Mai 2019 nach dem Fall der türkis-blauen Bundesregierung infolge von Ibiza fragte, ob sie die taumelnde Republik als Kanzlerin bis zur nächsten Wahl führen wolle. Nicht mit Jubel, aber aus Verantwortungsgefühl sagte sie schließlich zu.

Bierlein punktete mit nüchterner Professionalität

Dem Land zu dienen: Das sei ihre Motivation gewesen, wird sie später oftmals betonen. Tatsächlich gelang es Bierlein rasch, das aufgebrachte Land wieder auf demokratische Betriebstemperatur herunterzukühlen. Fachliche Brillanz, Professionalität, Teamgeist und eine angenehme Zurückhaltung nach Jahren aggressiver Selbstvermarktung, ja Blendung: Das waren die Zutaten dafür, dass das Experiment „Übergangsregierung“ gelang. Wegweisende (personelle) Entscheidungen verbat sie sich und ihrem Kabinett, der nicht gewählten Regierung fehle es schlicht an parlamentarischer Legitimität. Dennoch wurde in den Monaten bis zur Wahl Ende September 2019 offenbar, was Expertise sowie Wertschätzung gegenüber der eigenen Beamtenschaft vermögen.

Für all diese nüchterne Professionalität stand Brigitte Bierlein auch persönlich: 1949 als Tochter eines Beamten und einer Künstlerin geboren, wollte sie zuerst selbst Kunst oder Architektur studieren, entschied sich aber dann – einmal mehr nach selbstkritischer Reflexion – für Jus. Das Studium absolvierte sie in Mindestzeit, mit 26 legte sie die Richteramtsprüfung ab, mit 28 wurde sie Staatsanwältin und mit 41 als erste Frau Generalanwältin in der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof. Immer „die Erste“ – dieses Muster setzte sich fort, als Bierlein, die sich sowohl als Konservative wie auch als Liberale empfand und Frauenquoten stets ablehnte, unter Schwarz-Blau 2003 als erste Frau zur Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs ernannt wurde. 2018 avancierte sie schließlich zur Präsidentin – und ein Jahr später eben zur ersten Kanzlerin. Das Amt wieder abgeben und sich wieder mehr der Kunst und Kultur widmen zu können, empfand sie als Entlastung. Am 3. Juni ist Brigitte Bierlein nach kurzer, schwerer Krankheit kurz vor ihrem 75. Geburtstag gestorben.

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