Bruno Latour  - © Foto: APA / AFP / Joel Saget

Bruno Latour: Pionier des planetaren Denkens

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Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte ihn als „humanistischen und pluralistischen Geist“: Zum Tod von Bruno Latour (22.6.1947–9.10.2022).

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Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte ihn als „humanistischen und pluralistischen Geist“: Zum Tod von Bruno Latour (22.6.1947–9.10.2022).

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Er war einer der wichtigsten zeitgenössischen Intellektuellen, ein großer „Erneuerer der Sozialwissenschaften“, ein Vordenker in Umbruchzeiten, um dessen Werk man nicht mehr he­rumkommt – egal, ob man aus der geistes- oder naturwissenschaftlichen Hemisphäre stammt. Denn Bruno Latour arbeitete maßgeblich daran mit, die Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft zu hinterfragen, zu durchbohren und zu überschreiten.

Er selbst bezeichnete sich als „empirischer Philosoph“, der gern Feldstudien durchführte, bevor er daraus Theorien entwickelte. Als Wissenschaftssoziologe hatte er in den 1970er Jahren begonnen, die Laborarbeit zur Hormonforschung unter die Lupe zu nehmen. Seine Beobachtung, dass hier nicht nur biochemische Fakten, sondern auch soziale Faktoren an der Wissensproduktion beteiligt waren, eröffnete damals eine neue Stoßrichtung. In den 1990er Jahren gerieten deren Pioniere ins Kreuzfeuer einer Kontroverse, bekannt als „Krieg der Wissenschaften“: Manche Naturwissenschafter empfanden es als Angriff auf ihren Anspruch objektiver Erkenntnis, dass Forscher wie Latour ihre Prozesse der Wahrheitsfindung erkundeten.

Kritiker sahen im Professor an der Pariser Elitehochschule Sciences Po einen Zerstörer wissenschaftlicher Autorität. Doch Latour arbeitete nur konsequent an der Weiterentwicklung von Wissenschaft, die nicht nur ihre Ergebnisse einer fortlaufenden Revision zu unterziehen hat, sondern auch ihre Netzwerke und Apparaturen transparent machen sollte. Sein Versuch, das Verhältnis von Natur und Gesellschaft neu zu denken, führte zur Akteur-Netzwerk-Theorie, in der auch Objekten gestaltende Kraft zugeschrieben wird. Später forderte er in „Parlament der Dinge“ (2001) eine politische Ökologie. Wenn manche Staaten heute Pflanzen oder Gewässer als juristische Personen behandeln, ist dies auch auf diese theoretische Vorarbeit zurückzuführen.

In seinem Spätwerk wandte sich der gläubige Katholik den Fragen des Anthropozäns und der Klimakrise zu – nachzulesen etwa im Vortragsband „Kampf um Gaia“ (2017). Mit seinem planetaren Denken ist es nachhaltig aktuell. Am 9. Oktober ist Bruno Latour 75-jährig an den Folgen eines Krebsleidens in Paris verstorben.

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