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Mittelschüler und Studenten zu Hunderten und Tausenden lernen heute in den Vereinigten Staaten wieder: „Amo, amas, amat“. Sie lernen es genau so, wie es ihre Eltern und Großeltern gelernt haben, nur nicht mehr mit der Frage „Wozu eigentlich?“, sondern mit einem neuerdings erstaunlicherweise wachsenden Interesse.

Ohne irgendeinen sichtbaren äußeren Anlaß begann vor einiger Zeit das Interesse für die klassische Sprache bei den Oberschülern und Studenten zu wachsen. Umfragen ergaben, daß Latein nach dem Spanischen die populärste Sprache auf den Schulen ist. Dieser Zug bahnte sich ganz still an, kaum wahrgenommen, nicht einmal von den Lateinlehrern.

Erst als die Hochburg klassischer Bildung, die Havarduniversität, genau so ahnungslos über den „latenten Drang zurück zum Latein“, die Entscheidung fällte, ihre Diplome nunmehr in englischer Sprache statt in lateinischer drucken zu lassen, gab es einen Aufruhr unter den Studenten. Und als sich die Presse dieser so überraschend ans Tageslicht gekommenen Liebe zum Latein annahm, kam eine Diskussion im ganzen Lande zustande. Die Buchhandlungen überall in den USA hatten plötzlich Schwierigkeiten, genügend Exemplare der vor einiger Zeit erschienenen lateinischen Ausgabe von „Winnie The Pooh“, einer bekannten Kindergeschichte, zu besorgen.

Die Abschiedsrede der Princeton- universität, die stets in Latein gehalten wird, erfreut sich innerhalb des ganzen Landes plötzlich großer Beliebtheit. Die Abschiedsansprache der Columbiauniversität wurde dieses Jahr in klassischem Latein gehalten.

Eine Hausfrau im Staate Nebraska, früher Lateinlehrerin, zählte alle lateinischen Mottos, Sprüche und Sprichwörter, die ihr im Laufe einer Woche in ihrer gewohnten Umgebung begegneten. Sie kam auf rund vierundsechzig.

Vier Lateinwissenschaftler berichteten einem Reporter, daß kaum eine Woche vergehe, in der sie nicht von irgendwelchen Firmen oder Organisationen um ein lateinisches Motto gebeten werden, das in Briefköpfen, Buchzeichen, Familienwappen, auf Vereinsstatuen, in Geschäftsanzeigen usw. Verwendung finden soll. Sogar Kaufhäuser haben schon Anzeigen in Latein setzen lassen.

Offensichtlich müssen wir also heute „ave“ zu der alten neuen Sprache sagen und „vale“ zu der Meinung, daß Latein überflüssig sei.

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