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Himmler und das Dritte Reich

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Es ist für die zeitgeschichtliche Forschung keine Frage mehr, daß der finnische Medizinalrat Felix Kernen, als langjähriger behandelnder Arzt Heinrich Himmlers, humanitäre Taten einmaliger Art vollbrachte. So sind ihm nachweisbar die Rettungsaktionen für die Insassen verschiedener KZ-LageT in den Jahren 1944/45 zu danken, so hat er die weitgehend von Unbelehrbaren geleugnete Zusammenkunft zwischen Himmler und einem Vertreter des jüdischen Weltkongresses knapp vor dem Ende des Dritten Reiches eingeleitet, und über Kersten liefen manche Gesprächsversuche Himmlers und seiner Umgebung zu Friedensverhandlungen, die bis in das Jahr 1943 zurückreichen. Felix Kersten, der eigentlich Naturheilpraktiker ist und dessen Massagemethode von einer großen Klientel europäischer Wirtschafttreibender, darunter auch Mitglieder von Herrscherhäusern, in Anspruch genommen wird, verdankte seine Einführung bei Himmler, wie wir aus dem vorliegenden Buch entnehmen, interessanterweise dem Präsidenten des deutschen Kali-Syndikats, Dr. August Diehn, und dem Generaldirektor deä Winterhall-Konzerns, Roßberg. Beide Herren handelten nicht vielleicht aus humanitären Beweggründen, als sie den unter ständigen Magenkrämpfen leidenden Himmler ihrem bewährten Behandler empfahlen, sondern sie erhofften sich, wie der Verfasser schreibt, „daß die beabsichtigte Verstaatlichung der Großindustrie nicht durchgeführt werden würde“. Beide Persönlichkeiten der Wirtschaft gehörten übrigens zu dem berüchtigten „Freundeskreis der Wirtschaft“, der Himmler jahrelang durch Millionenzuwendungen unterstützte, wie aus jüngsten Veröffentlichungen hervorgeht. Kersten erwies sich aber nicht als ein Instrument privater Interessen, sondern faßte zu seinem Patienten Vertrauen, so wie dies auch bei einem so komplexen Menschen wie Himmler auch umgekehrt eintrat. In Verfolg der jahrelangen Behandlung konnte Kersten steigenden Einfluß gewinnen, der verschiedene Aktionen, die Hitler plante und mit deren Durchführung Himmler beauftragt wurde, verhinderte. So die spontan verlangte Aussiedlung der Holländer, die Sprengung und Vernichtung wichtiger Bauwerke in den Niederlanden, und nicht zuletzt die mit wechselndem Erfolg verlaufenen Aktionen im Frühjahr 1945, wobei offen-kundlich Kersten in einen gewissen Gegensatz zu Graf Folke Bernadotte geriet, wie der Verfasser erstmalig auf Seite 44 seines Buches andeutet. Ansonsten beschäftigt sich das Werk weitgehend mit den einzelnen Gestalten um Himmler, der Ideologie der SS und versucht eine Charakteristik der führenden Männer des Dritten Reiches zu geben. Dabei wird weitgehend das schon vor Jahren in Hamburg erschienene gedruckte Tagebuch Kerstens herangezogen, ebenso der Aufsatz von Wilhelm Treue in „Mit den Augen ihrer Leibärzte“, 1955, ohne daß beide Werke im Literaturverzeichnis erwähnt werden. Für manche Behauptungen bleibt uns der Verfasser noch den Beweis schuldig: so etwa zur Charakteristik Kaltenbrunners, dessen Aufstieg doch wohl anders verlief und kaum durch ein von Hitler unbemerktes Verhältnis zu Eva Braun erklärbar erscheint. Trotzdem sich das vorliegende Werk auf einen umfangreichen Quellennachweis niederländischer Herkunft zu stützen versucht, wäre es im Interesse der exakten zeitgeschichtlichen Forschung erstrebenswert gewesen, durch die herkömmliche wissenschaftliche Art von Quellenhinweisen dem Leser die Überprüfung der einzelnen Angaben zu erleichtern.

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