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Erbe ohne Ahnen

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In den zahlreichen Büchern, die in den letzten Jahren über Heinrich Himmler und die SS erschienen sind, wurde verschiedentlich auf die kulturpolitischen Absichten Himmlers hingewiesen. Schon sein Briefwechsel mit den wichtigsten Führern der SS, sowie eine Biographie Reinhard Heydrichs von S. Aronson erweisen, daß Himmler versuchte, im Gegensatz zu Alfred Roseniberg und dessen von Hitler als weltanschauliche Parteiinstitution sanktioniertem Amt, eine Art von Gegemnsti- tution aufzubauen. Mit der steigenden Bedeutung des „Amtes Rosenberg“ begann Himmlers Versuch, mit Hilfe eines Vereins, der sich „For-

schunigs- und Lehrgemeinschaft .Das Ahnenerbe “ nannte und dessen Präsident Himmler war, in die Kampffelder der naticmalsozialisti- sdien Wissenschaftspolitik einzudringen. Der Verein selbst hatte seinen Aviagang von einer Lieblingsmarotte Himmlers genommen, der germanisdien Frühgesdiidite, der Volkskunde und nicht zuletzt von Teilbereidien der Höhlenkunde, Volksmedizin und angewandten Naturkunde — das Salzburger „Haus der Natur“ verdankt diesen Intentionen eine nidit unbeträditlidie Förderung! Himmler war sich jedoch nidit im klaren, was er eigentlich mit dem späteren SS-Forsdiungs- amt ,A-hnenerbe“ anstrebte. Schon die bei ihm tätigen Wissenschaftler, Hermann Wirth, Walter Wüst, Wolfram Sievers, waren höchst unterschiedliche Vertreter der einzelnen Wissenschaften von der Germanen- Forsdiung bis zur Medizin, von der „Kulturkommission in Südtirol“ bis zur Gottschee. Es gelang Himmler niemals, trotz der steigenden Aufwertung seiner SS, das „Ahnenerbe“ zu einer ernsthaften Konkurrenz gegenüber den deutschen Hochschulen und Rosenbergs Parteihochschulen aufzuwerten. Für diesen Mißerfolg waren zweifellos zahlreiche Personen verantwortlich, die unter dem Schutz des Reidisführers-SS Pseudowissenschaften von der Züchtigung eines neuen Pferdetyps bis zu den fürchterlichen luftfahrtmedizinischen Experimenten eines Sigmund Rascher betrieben.

Das vorliegende Buch ist ein äußerst wertvoller Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des Dritten Reiches und zeigt deutlich, wie die einzelnen Machtgruppen gegeneinander kämpfend den Prozeß der institutioneilen Selbstvemichtung vollzogen, wobei der letzte Entscheidungsfaktor nicht Himmler sondern Hitler war.

DAS „AHNENERBE“ DER SS 1935 BIS 1945. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Dritten Reiches von Michael H. Kater. Studien zur Zeit- geschichte, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1974, 522 Seiten.

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