1D3 Hektar Opium macht reich

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Mit dem illegalen Opium-Anbau wird in Afghanistan mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Für Opium-Bauer Adschesiah Nawi zählt aber vor allem, dass er sich mit den Einkünften aus der letzten Ernte seine Hochzeit leisten kann.

In Badakhshan lebt man entweder von oder mit dem Opium: Die Bauern bestreiten damit ihre Existenz, die Schmuggler machen ein Geschäft daraus, die Süchtigen betäuben damit ihren Schmerz und die Beamten werden bezahlt, etwas dagegen zu tun. Für die einen ist es eine Himmelsgabe, für die anderen Fluch, aber auf die eine oder andere Weise bestimmt es ihrer aller Leben.

Wenn im letzten Jahr, wie das UN-Büro gegen Drogen und Verbrechen (UNODC) feststellt, mehr als die Hälfte des afghanischen Bruttosozialprodukts durch den Anbau und Handel von Opiumprodukten erwirtschaftet wurde, dann muss der Anteil in Badakhshan, der kargen Provinz im äußersten Nordosten des Landes, noch viel höher sein. Viele Täler in den über 7.000 Meter hohen Pamirbergen sind neun, zehn Monate vom Rest der Welt abgeschnitten. Hier wächst so gut wie nichts, regiert den langen Winter über der Hunger. Weil Badakhshan so abgelegen ist und die Berge ihm Schutz geben, war es die einzige Provinz Afghanistans, die die Taliban nie einnehmen konnten.

Vor mehr als 100 Jahren kam das Opium aus China nach Badakhshan - aber erst im vergangenen Jahrzehnt entwickelte es sich zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Der Anbaufläche nach sind zwei Bezirke um die Hauptstadt Feizabad beim Mohnanbau führend in ganz Afghanistan. Und obwohl es hier nur wenig gutes Ackerland gibt und die Erträge gering sind, erbringt die Provinz auch eine der größten Ernten im ganzen Land.

Der Bauer weiß, ...

Adschesiah Mohamed Nawi ist Opiumbauer. Er lebt in Argo, einem der Opium-Bezirke um Feizabad, 25 Kilometer hinauf in die Berge. 4.400 US-Dollar hat Nawis mit der letzten Ernte verdient, erzählt er stolz. Nun trägt er sich mit Hochzeitsplänen. Obwohl er schon 60 Jahre alt ist und auf dem Weg von seinem Verkaufsstand am Markt zu seinem Haus mehrmals pausieren muss, wird seine zweite Frau Anfang 20 sein.

Bauer Nawi spricht entspannt und selbstsicher wie ein Mann, der auf das, was er erreicht hat, stolz sein kann. Zum ersten Mal hat sein Dorf in den achtziger Jahren Mohn angebaut, berichtet er. "Nachdem uns die Russen angegriffen haben. Sie haben alles zerstört", sagt er und hebt die Hände. "Wir hatten nichts mehr. Was sollten wir anderes machen?" Auf dem größten Teil seines Landes baut er Weizen und Reis an. Ein Drittel Hektar Opium, meint er großzügig, reiche ihm völlig aus.

... was das Opium anrichtet

Wortkarg wird Bauer Nawi, wenn er darüber sprechen soll, an wen er sein Opium verkauft. Nach der Ernte kommen viele Händler ins Dorf, druckst er herum. "Ich verkaufe ein Kilo an den und ein anderes an den nächsten." Auf die Frage, ob er wisse, was mit dem Opium geschehe, schüttelt er energisch den Kopf. "Darüber haben wir keine Informationen", ruft einer aus der Menge der Umstehenden dazwischen. Aber dass Opium gefährlich ist, weiß Bauer Nawi doch? "Selbstverständlich!", antwortet er. "Wenn Sie es nehmen, werden Sie sterben."

Nun aber fühlt sich Bauer Nawi doch missverstanden. Schließlich seien es ja nur die widrigen Umstände in Afghanistan, sagt er versöhnlich, die Bauern wie ihn dazu zwingen, Schlafmohn anzupflanzen. "Wenn es bei uns eine bessere Wirtschaft gäbe, würde ich Opium nie anbauen. Noch dazu, wo doch haram im Islam streng verboten ist." Später wird Bauer Nawi erzählen, dass sich sogar der Gouverneur von Badakhshan gegen das Opium ausgesprochen hat und dazu leicht belustigt mit dem Kopf schütteln.

Eine dreiviertel Stunde später, beim Spaziergang zu seinem Haus, hat Bauer Nawi die Frage nach dem Schaden, den Opium anrichten kann, schon wieder vergessen. Er ist wieder in selbstzufriedenen Stimmung. Vor seiner Haustür steht ein nagelneuer russischer Geländewagen, in seinem Hof Kälber, Schafe und Ziegen und in der guten Stube ein Fernseher. Auf die Frage, was er denn selbst glaube, ob er eher reich sei oder arm, sagt er: "Na ja, schon reich, denke ich."

Der Vizegouverneur ...

Schamsa Urahman, der Vizegouverneur von Badakhshan, hat Verständnis für Bauern wie Nawi. Solange es keine Straßen gebe in Afghanistan, keine Krankenhäuser und keine Schulen, sagt er gleich zu Beginn des Interviews in Feizabad, sei es so gut wie unmöglich die Leute vom Opiumanbau abzubringen. Da seine Regierung außer einem Club am Fluss kein eigenes Gebäude hat, empfängt er die Gäste in seinem Wohnhaus, auf halbem Weg zwischen der alten Stadt mit ihren engen Gassen und dem Basar und der neuen Stadt mit den Wohnhäusern und den Einrichtungen der Hilfsorganisationen.

... hat Verständnis, ...

Weil Vizegouverneur Urahman in Badakhshan geboren ist, hier mit den Mujahedin gekämpft hat und sich hervorragend auskennt, dauert es nicht lange, bis er einräumt, dass zwar Präsident Hamid Karzai ein Dekret erlassen hat, das den Opiumanbau verbietet, dass aber seine Regierung es in Badakhshan nicht durchsetzen kann. Er schätzt, dass es in der Provinz zwischen 1.000 und 2.000 Polizisten gibt. Bei 300.000 Einwohnern in der Provinz kein schlechter Schnitt. Das Problem ist jedoch, dass diese Polizisten keine richtigen Polizisten sind, sondern ehemalige Mujahedin. Und dass sie weder ausgebildet sind, noch entsprechend bezahlt, und dass ihre Loyalität deshalb schwankt wie ein Wendeboje im Herbststurm. "Badakhshan ist eigentlich eine gesetzlose Gegend", sagt der Politologe Adam Pain, der gerade eine Studie über die Wirtschaft der Provinz vorbereitet.

... und die Polizei schaut zu

Die Polizei in ganz Badakhshan hat genau einen Wagen zur Verfügung, führt Vizegouverneur Urahman entschuldigend an. Den grün-weiß-gestreiften Geländewagen hat Deutschland gespendet, das mithilft, die Polizei in Afghanistan wieder aufzubauen. Die Schmuggler dagegen sind besser ausgerüstet. Sie haben nagelneue Landrover und keine Skrupel. Auf den Nasen tragen sie dunkle Sonnenbrillen und durch die Holperwege der Stadt rasen sie in schwindelerregendem Tempo, so dass die Passanten zur Seite springen müssen. Um die Stadt herum gibt es circa 20 Drogenlabors, berichtet der Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation, der schon lange in Feizabad lebt. Mit ein paar Rohren, Tonnen und Stoffresten als Filter stellen die Schmuggler dort Morphium-Basis her - ein Zwischenprodukt, aus dem man später Heroin herstellt.

Der Süchtige ...

Alles macht Ali Sobir (Name geändert, Anm.) Kopfschmerzen. Am Morgen kann er keinen Tee trinken, weil der ihm, wie er mit seiner schläfrig wirkenden Stimme erzählt, "schlimmen Druck im Kopf" verursacht. Und aus diesem Grund kann er auch vom Frühstückstisch nichts essen, der vor ihm steht. Was ist mit der Schule? Die hat er verlassen, er erträgt das Tageslicht nicht mehr: Wenn er aus dem Haus geht, trägt er eine Sonnenbrille.

Der 20-jährige Mann ist einer von 30.000 abhängigen Opiumrauchern in Badakhshan. Unter ihnen Ärzte, Lehrer und Großeltern, weiß der Chef des Regierungsbüros zur Drogenbekämpfung in Badakhshan, Doktor Sebghatullah, zu berichten. "Ich weiß von einigen Dörfern", erzählt der Mediziner, "in denen 90 Prozent der Bewohner abhängig sind." Wie Ali Sobir sind die meisten Süchtigen in Badakhshan Ismailis, Anhänger einer islamischen Sekte, die in den Grenzregionen von Afghanistan, Pakistan und China leben.

Wie nach den Vorschriften seiner Religion üblich hat Ali Sobir mit 13 Jahren geheiratet. Mit 15, als er schon zwei Kinder hatte, schicken ihn seine Eltern weg aus dem Dorf nach Feizabad. Hier soll er auf die höhere Schule gehen. Nach zwei Jahren schlägt ihm ein Freund vor, Opium zu rauchen. "Es war etwas neues, so wie Wein trinken vielleicht", sagt Ali Sobir im Rückblick. Und: "Damals habe ich etwas sehr, sehr Schlechtes getan."

... schläft, raucht, schläft ...

Ali Sobir wird schnell abhängig und geht von da an nicht mehr zum Unterricht. "Ich hatte meinen Rhythmus", erzählt er so distanziert, als ob er von einer Zeit erzählt, die schon sehr lange zurückliegt. "Erst rauchen, dann schlafen, dann rauchen ... und das dreimal am Tag." Die Sucht finanziert Ali Sobirs Onkel, der ihm alle zwei, drei Tage ein bisschen Geld zusteckt. Eine Pfeifenfüllung kostet in Feizabad nur 50 Afghani, rund 80 Cent, und so kommt Ali Sobir über die Runden. Der Onkel darf aber nichts davon wissen, dass sein Neffe Opium raucht.

Einer seiner Freunde ist vor zwei Wochen zu einer kostenlosen Entziehungskur nach Kabul gefahren. Dort will Ali Sobir nun auch bald hin, am liebsten schon nächste Woche. Nach dem Ende des Interviews, draußen in der Nähe des Busbahnhofs, sieht er einen seiner Bekannten in der Morgenkälte herumstapfen. Er begrüßt ihn kurz und sagt, nachdem der Freund wieder weg ist: "Der raucht auch Opium." Dann schaut er traurig und fragt: "Kann ich nicht etwas Geld für die Fahrt nach Kabul haben? Ich muss hier weg. In Feizabad kann ich nie aufhören. Hier hat jeder Opium im Haus."

Der Autor ist freier Journalist in Taschkent.

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