Abschied von einem Guten

19451960198020002020

Wo George Weidenfeld Gutes sah, unterstützte er es mit Stiftungen. Wo er Intoleranz, ja Hass fand, bekämpfte er es. Unvereinbar Scheinendes brachte er zusammen

19451960198020002020

Wo George Weidenfeld Gutes sah, unterstützte er es mit Stiftungen. Wo er Intoleranz, ja Hass fand, bekämpfte er es. Unvereinbar Scheinendes brachte er zusammen

Werbung
Werbung
Werbung

Am vergangenen Freitag wurde George Weidenfeld am Ölberg in Jerusalem begraben - begleitet von Nachrufen, wie sie kaum ein Staatsmann erwarten darf. 96-jährig starb er in London - ehe ihm das Bewusstsein schwand, sang er noch Wiener Studentenlieder.

Mittellos hatte er 1938 Österreich verlassen müssen, gerade noch rechtzeitig, um der Massenvernichtung zu entkommen. Sein nachfolgender Aufstieg war beispiellos: ein Gigant als Verleger, ein Kosmopolit und Vertrauter der Mächtigsten, ein Kulturbesessener, Gesellschaftslöwe und Kavalier alter Schule, geadelt und zum Ritter des britischen Empires geschlagen, vielsprachig und generös.

Wo er Gutes sah, unterstützte er es mit Stiftungen. Wo er Intoleranz, ja Hass fand, bekämpfte er es. Unvereinbar Scheinendes brachte er zusammen: Juden, Christen und Muslime, auch Deutsche und Israelis Tausende orientalische Christen rettete er zuletzt mit seiner Aktion "Safe Havens" aus der Hand des IS.

Jerusalem, London und Wien waren seine Ankerplätze. Zwischen Bücherbergen hing lebenslang ein Stich des Stephansdoms in seinem Büro.

Mehrfach bin ich George Weidenfeld begegnet - zumeist beim vertrauten Gespräch mit Kurt Waldheim, seinem alten Studienkollegen an der Wiener Konsularakademie. Durch alle politischen Wirren hindurch hielt er, der jüdische Weltbürger, dem sosehr Angegriffenen die Treue - nannte ihn "meine Rettung" und "den einzig Mutigen, der unter NS-Herrschaft unser jüdisches Haus besuchte". Wieder und wieder schrieb und erzählte er von den Schicksalstagen des Jahres 1938. Als man ihn vom Unterricht an der Konsularakademie entfernt hatte, "lernte Kurt an den Nachmittagen und Abenden mit mir zuhause -so konnte ich extern doch noch meine Prüfungen machen".

Dankbarkeit gegenüber Waldheim

2008, ein Jahr nach Kurt Waldheims Tod, kam der Emigrant Weidenfeld eigens mit einem Filmteam an den Schauplatz seines einstigen Hinauswurfs (heute US-Botschaft in Wien) zurück, um mit Sissy Waldheim vor der Kamera über alte Zeiten und seine Dankbarkeit zu reden - furchtlos gegenüber massivsten Anwürfen aus den eigenen Reihen.

Seltsam, wie wenig sich darüber jetzt, mehr als ein Vierteljahrhundert nach der "Causa", in den heimischen Nachrufen auf das verjagte "Kind aus Gumpendorf" wiederfand.

Als die Nachricht von Weidenfelds Tod in der Vorwoche um die Welt ging (auch die FURCHE berichtete), ist mir die nun Jahrzehnte zurückliegende Neugier eines Buben aus der Nachbarschaft eingefallen: Wann immer ich von Interview-Terminen mit Prominenten der Weltpolitik nachhause kam, erschöpfte sich sein Interesse auf eine knappe, meist unbeantwortbare Frage: "Ist das ein Guter oder ein Böser?" Bei George Weidenfeld wäre die Antwort leicht gewesen.

Die Welt hat einen großen Optimisten verloren, der sicher war, dass Gutes möglich ist -und der das Seine dazu getan hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung