"Entschleunigung" als neue Kulturtechnik

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Zählen Sie schon zu den "Slobbies" - den "Slower but better working people"? Verzeihung, welch naive Frage. Wer sich nicht im Dauer-Megastress befindet, ist Arbeitgebern und Freundeskreis verdächtig.

Es ist paradox: Wir sind umgeben von Zeitspar-Maschinen, und dennoch scheinen gerade sie das Leben anstrengender gemacht zu haben. Weil alle ins Auto steigen, steht jeder im Stau. Handy und Computer sind zur unsichtbaren Nabelschnur zum Büro geworden. Das E-Mail-Fach ist voll, der Briefberg mysteriöserweise trotzdem nicht kleiner. Und am Privat-PC daheim verrinnt die Zeit wegen irrationaler Bockigkeit des Blechtrottels. Überbezahlte Berater lehren geplagte Büromenschen daher noch besseres Zeitmanagement. Doch selbst in der Freizeit wird der schnelle Kick gesucht, Kurzreisen boomen.

Und dazwischen mahnen Intellektuelle zu "Entschleunigung". Fernöstliche Techniken zum Finden der "Lebensbalance" sind zum Trend bei müden Workaholics geworden, die wenigstens kurz in sich hineinhorchen wollen. Denn selbst bei den banalsten Alltagstechniken ist Hektik eingezogen: Die Kassierin im Supermarkt hält nur mehr die Ware über den Scanner. Der Kunde, sollte er auch alt und gebrechlich sein, ist gezwungen, seinen Einkauf in Windeseile wegzupacken. Langsamkeit ist lästig, wird fast als Behinderung gesehen. In letzter Konsequenz führt dies dazu, dass auch für Kinder kein Platz mehr bleibt, weil sie sich diesem Lebenstempo nicht anpassen (können).

Vor zwölf Jahren hat sich in Klagenfurt ein schrulliger "Verein zur Zeitverzögerung" gebildet, der - ziemlich modern - für eine positive Sicht arbeitsloser Lebensabschnitte plädiert. Erzwungene Frühpension, Zeiten der Kinderbetreuung, Beschäftigungslosigkeit: Angesichts der superwichtigen Effizienzler, die uns umgeben, löst dies Depressionen aus.

Der norwegische Anthropologe Thomas Eriksen meint in einem neu erschienenen Buch ("Die Tyrannei des Augenblicks"), dass wir uns in der ersten Phase einer "Langsamkeits-Rebellion" befinden. Die Vorteile der Informationsgesellschaft sinnvoll nutzen und trotzdem eine humane Gesellschaft sein - das wäre das Ziel.

Die Autorin ist innenpolitische Redakteurin der Tageszeitung "Der Standard".

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