Honduras’ Cowboy bleibt im Sattel

Werbung
Werbung
Werbung

100 Tage nachdem er weggeputscht wurde, muss Präsident Zelaya noch immer ohne Pyjama schlafen – aber er kann von seiner baldigen Rückkehr träumen.

Jede Nacht gegen zwei Uhr steht Manuel Zelaya auf und macht einen kurzen Rundgang durch die brasilianische Botschaft in Tegucigalpa. Erst wenn sich der gestürzte Präsident von Honduras versichert hat, dass alles ruhig ist, kehrt er in das kleine Büro zurück, das ihm als Arbeitsraum und Schlafzimmer dient, und legt sich wieder auf die am Boden ausgebreitete Matratze. Zelaya schläft unter den Augen von Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, dessen Porträt an der Wand hängt.

Seit zwei Wochen lebt Zelaya unter dem diplomatischen Schutz von Brasiliens Botschaft. Das Militär hatte den Präsidenten am 28. Juni aus dem Amt geputscht und außer Landes gebracht, nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen kehrte Zelaya am 21. September heimlich in die honduranische Hauptstadt zurück. Das Leben, das er seitdem in der Botschaft führt, ähnelt dem Alltag in einem Gefängnis.

Warum tut sich der gestürzte Präsident das an? Warum glaubt er, in einer abgeschirmten ausländischen Botschaft seiner Wiedereinsetzung besser dienen zu können als außerhalb Honduras als von nahezu der ganzen Welt unterstützter freier Mensch?

Widerstand wie der von Ghandi?

Roland Bangerter vom Lateinamerika-Komitee des Internationalen Versöhnungsbundes sieht in Zelayas Rückkehr einen Akt gewaltfreien Widerstands in „ghandischer Dimension“. Die Putschisten hätten geglaubt, sie könnten weitermachen, als wäre nichts geschehen, Präsidentenwahlen mit ihren Kandidaten organisieren und die internationalen Proteste und Pro-Zelaya-Demonstrationen „einfach aussitzen“. Mit seiner Rückkehr habe Zelaya aber einen Strich durch diese Rechnung gemacht, sagt Bangerter, seien die „Unrechtsstrukturen der Putschisten“ an den Pranger gestellt.

Magdalena Heuwieser, Studentin für internationale Entwicklung, hat die 100 Tage seit dem Zelaya-Putsch vor Ort verfolgt. Sie erklärt Zelayas Widerstand prosaischer: Ihrer Meinung nach hat der geputschte Präsident aus sehr viel Eigeninteresse heraus zurückkehren müssen, da sich die Widerstandsfront in Honduras mittlerweile auch ohne seine Person gut organisiert und gegen die Übergangsregierung in Stellung bringen konnte. Zelaya musste also fürchten, für einen Wechsel nicht mehr gebraucht zu werden.

Bewacht wird die prominente „Geisel“ von honduranischen Soldaten. Spürhunde beschnüffeln die angelieferten Lebensmittel, Kleider und Hygiene-Artikel. Der Tag in dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft beginnt für Zelaya, seine Frau Xiomara Castro, die 50 Unterstützer und zehn Journalisten mit einem einfachen Frühstück. Kulinarisch beschränkt sich der 57-jährige Präsident ohne Amt und seine Entourage im Exil auf die einheimische Küche: Bohnen, Reis, Avocado, Käse. Ihr Essen bekommen Zelaya und seine Frau von ihrer Tochter geliefert. Vor Kurzem hat diese einen Sohn geboren. Doch seinen jüngsten Enkel hat Zelaya noch nicht in die Arme schließen dürfen.

Zelayas Anhänger halten den Hof sauber und kümmern sich um den Garten. Die Präsidentengattin nennt sie „meine Kinder“. Die Journalisten arbeiten und übernachten in einem großen Raum, von dem aus sie ihre Artikel und Fotos in alle Welt schicken. Manche schlafen in Ermangelung einer Matratze auf dem Fußboden. „Jeder hat einen anderen Tagesablauf“, sagt Doris Garcia, eine der sieben Frauen, die in der Botschaft sind; davor war sie Frauenministerin.

Zelayas Sinnes- und Politikwandel

In Wien ergreift dieser Tage eine andere Honduranerin für Zelaya Position: Betty Matamoros, Frauenaktivistin in der Nationalen Front gegen den Putsch. Eine überraschende Konstellation – die linke Aktivistin auf der Seite des aus einer honduranischen Oligarchen-Familie stammenden, zur Liberalen Partei gehörenden Mitte-rechts Präsidenten. Diese Allianz beschreibt den Wandel, den Zelaya im Amt vollzogen hat. „Er hat angefangen, an sein Volk zu denken und für sein Volk Politik zu machen – und das in einem Land, in dem 80 Prozent der Menschen arm sind“, sagt Matamoros im Gespräch mit der FURCHE. Auf die Frage, ob sie dieser Gesinnungswandel überrascht hat, nickt sie und antwortet mit einem knappen „Si“.

In Honduras droht Zelaya ein Prozess wegen Hochverrats. Seine Gegner in der Putsch-Regierung werfen ihm vor, mit Hilfe einer Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit angestrebt zu haben. Matamoros widerspricht, Zelaya habe nie von einer neuerlichen Kandidatur gesprochen. Und die für November angesetzte Volksabstimmung, die der Bevölkerung mehr Mitsprache bringen sollte und den Anlass für den Putsch geboten hat, gehörte seit Zelayas Amtsantritt 2006 zum Regierungsprogramm.

Matamoro tendiert daher zur Auffassung, Zelayas Anhebung der Mindestlöhne, seine wirtschaftliche Beschränkungen für US-Ölfirmen, Bananen- und Pharmakonzerne und vor allem Honduras Beitritt zur „Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerikas (ALBA)“ seien die tatsächlichen Gründe für den Putsch gegen den Präsidenten mit dem weißen Cowboyhut gewesen.

Einen Ausweg aus der verfahrenen Situation sieht Matamoro allein in der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, in der alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind. Diese soll die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen, auf einen Ausgleich in der gespaltenen Bevölkerung hinarbeiten und nach Beruhigung der Situation im Land Präsidentenwahlen organisieren.

UNO-Vollversammlung angerufen

In seinem Arbeits- und Schlafzimmer kämpft Zelaya indes unablässig für seine Rückkehr ins Amt. Die spektakulärste Aktion war, als er sich per Telefon an die UNO um Hilfe wandte und sein Anruf via Lautsprecher direkt in die Vollversammlung übertragen wurde. Und auch wenn die USA gespalten erscheinen, zwischen Pro-Zelaya-Anhängern um Präsident Barack Obama und Zelaya-Gegnern im Außenministerium und im Pentagon – der Rest der Welt steht hinter dem gestürzten Präsidenten. So wie die 38 Bauern in Honduras, die für Zelaya in Hungerstreik getreten sind. Sogar die honduranische Industrie- und Handelskammer setzt sich mittlerweile für seine Wiedereinsetzung ein.

Lange also wird Zelaya wohl nicht mehr nur durch den Innenhof der Botschaft schlendern, und sich angezogen niederlegen müssen. Aus Angst vor einer Erstürmung des Gebäudes bleiben die Pyjamas nämlich im Koffer. Aber so muss sich Zelaya wenigstens nicht erst anziehen, wenn er zu seinem nächtlichen Kontrollgang von der Matratze am Boden aufsteht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung