„Schnelles Geldverdienen mit Kinderhandel verhindern“

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In der Wiener „Drehscheibe“ erhalten die Opfer von Kinderhändlern Schutz und die Möglichkeit zu einer sicheren Heimkehr. Leiter Norbert Ceipek will sein Erfolgskonzept national und international exportieren.

Die Gelegenheit ist da – und Norbert Ceipek will sie beim Schopf packen. Wer mit dem unkonventionellen Beamten des Wiener Jugendamts spricht, glaubt, einem Unternehmer gegenüber zu sitzen oder einem Manager, einem Visionär in jedem Fall – und einem Macher. Ceipek hat „nicht mehr so lange bis zur Pension“, doch vorher will er noch sein Ziel erreichen: ein bundesweites Schutzzentrum für die in Österreich aufgegriffenen Opfer von Kinderhandel. 2003 hat Ceipek die „Drehscheibe“ in Wien gegründet – die einzige Anlaufstelle im ganzen Land für Kinder, die Menschenhändlern ausgeliefert sind. Vis-à-vis des Wiener Augartens ist die Zufluchtsstätte angesiedelt – mit Blick ins Grüne, was durchaus als Symbol für die Hoffnung gedeutet werden kann, dass sich das Leben für diese gehandelten Kinder in und mit der „Drehscheibe“ wendet. Zwei Stockwerke im Haus werden demnächst frei und ein Festsaal – für Ceipek die Chance, seine Wiener Anlaufstelle zu einem österreichweiten Krisenzentrum sowie einer nationalen wie internationalen Ausbildungsstätte auszubauen – wenn die Politik mitspielt.

In Wien war das bislang der Fall, eine Erfolgsgeschichte durfte mit dem Vertrauen der Stadtpolitiker ihren Anfang nehmen und bis heute andauern. „Der ist lästig, da soll er sich abg’fretten, da rennt er gegen eine Wand“, glaubt Ceipek die damaligen Gedanken seiner Vorgesetzten zu kennen, die ihn die „Drehscheibe“ quasi im Alleingang aufbauen ließen. „Wissen Sie, warum der Kopf rund ist?“, fragt er beim Treffen mit der FURCHE und gibt, den ratlosen Blick seines Gegenübers richtig deutend, gleich selbst die Antwort: „Damit man in alle Richtungen denken kann!“

Das hat Ceipek getan: Sein erster Schritt war es, die aufgegriffenen Kinder an einem Ort, der „Drehscheibe“, zusammenzufassen – „das habe ich mir mit dem damaligen Polizeipräsidenten ausg’schnapst!“ Mit einer Sofortbildkamera wurden die Kinder, die in jedem Bezirk unter einer anderen Identität aufgetreten sind, anschließend abgelichtet und die Fotos katalogisiert. „Da sind wir erst draufgekommen, wie perfekt durchorganisiert der Kinderhandel und die damit einhergehenden Bettel- und Diebstouren sind“, erinnert sich Ceipek zurück.

2003 kamen 1300 Kinder in die „Drehscheibe“ – vor allem aus Bulgarien, Rumänien, Serbien, Montenegro, Bosnien sowie aus Moldau, der Ukraine und Georgien. 2005 waren es noch rund 700 minderjährige Opfer, in den beiden Folgejahren zählte man jeweils um die 300 und 2008 hat man knapp 100 versorgt. Im ersten Halbjahr 2009 wiederum waren es rund 30 Mädchen und Burschen – der Trend ist also stark rückläufig.

Kinder für Täter unerreichbar

„Die Kinderhändler sind gezielt auf schnelles Geld aus“, erklärt Ceipek, „das haben wir ihnen vermasselt. Wir haben ihnen dieses Tor ein bisschen verschlossen, deswegen haben wir eine Chance.“ Und aus dem Bundeskriminalamt attestiert man anerkennend: „Dadurch, dass die Kinder von der Straße weggenommen und für die Täter unerreichbar wurden, ist Österreich ein unfruchtbarer Boden für die Kinderhändler.“

Ob man die Wiener Erfahrungen eins zu eins auf ganz Österreich umlegen kann, ist jedoch sehr fraglich. Dass mit Ausnahme von Wien, Tirol und Niederösterreich die anderen Bundesländer bei der nationalen „Task Force Menschenhandel“ durch Abwesenheit glänzen, stößt dem Sozialpädagogen Ceipek jedenfalls sauer auf.

Und über die Blauäugigkeit der politisch Verantwortlichen in den Bundesländern schüttelt er nur mehr den Kopf. 2005 wurde offiziell nur ein (!) Kind in allen anderen Bundesländern außer Wien als Opfer von Kinderhandel registriert. Ceipek: „In Graz verbieten sie das Kinderbetteln, dann schieben sie die Kinder ab – und ein paar Wochen später sind sie wieder da.“ Das Schlimmste aber ist: Nach dem Aufgriff durch die Polizei fallen die Betroffenen, sehr oft Roma-Kinder und -Jugendliche, zurück in die Hände der Menschenhändler.

Netzwerk bis Rumänien, Bulgarien

Wien ist da anders: Ceipek hat mit den rumänischen und bulgarischen Behörden ein funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Jeweils drei Wochen schult er die dortigen Kolleginnen und Kollegen vor Ort in die Materie ein und holt sie anschließend zum Intensivtraining nach Wien. Mittlerweile gibt es in Bulgarien acht und in Rumänien sogar 48 staatliche Hilfszentren für gehandelte Kinder. Belgrad und Sarajewo planen ebenfalls serbische bzw. bosnische Pendants zur „Drehscheibe“ einzurichten.

Beim Aufbau der Kinderzentren in Bulgarien und Rumänien habe ihn die dortige Presse sehr unterstützt, geizt Ceipek nicht mit dem ansonsten oft spärlichen Lob für die Journalistenbranche. Und dass er „keine diplomatische Ausbildung besitzt“, hat dem Beamten im Umgang mit den dortigen Politikern ebenfalls sehr genützt: „Ich habe ihnen gesagt: Dass sind eure Landsleute, ihr müsst euch um die Kinder kümmern, sonst habt ihr jeden Tag in Österreich und bei euch im Land eine schlechte Schlagzeile – dafür werde ich sorgen!“

Gesorgt hat Ceipek auch dafür, dass die in ihre Heimat zurückgeschickten Kinder ein halbes Jahr lang in einem Krisenzentrum versorgt und erst nach genauer Prüfung wieder zu ihren Eltern gebracht werden. Für Kinder, die gegen ihre Menschenhändler ausgesagt haben, gibt es zudem eine Art Zeugenschutzprogramm, das ein Jahr lang dauert.

Viele Roma-Kinder sind von Geburt an nicht behördlich registriert, „existieren offiziell also gar nicht“, erklärt Ceipek ein Grundübel, das den Menschenhändlern ihre Arbeit leicht und die Kinder zu „begehrter Ware“ macht.

In der „Drehscheibe“ bekommen die aufgegriffenen Kinder Essen, Kleidung und ärztliche Betreuung. An seinen Schützlingen gefällt Ceipek, wie sie „ihr Leben trotzdem mit ‚Harmour‘ meistern“ – eine Eigenart, die auch ihm nicht ganz fremd zu sein scheint.

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