Zwischen Eurofreude und Teuroangst

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Noch vor wenigen Wochen lehnten die Letten die neue Euro-Währung ab. Das Bild hat sich nun zwar etwas geändert, aber noch immer gibt es Angst vor einem Preisanstieg. Die Regierung versucht es nun mit Kontrollen.

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Noch vor wenigen Wochen lehnten die Letten die neue Euro-Währung ab. Das Bild hat sich nun zwar etwas geändert, aber noch immer gibt es Angst vor einem Preisanstieg. Die Regierung versucht es nun mit Kontrollen.

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Die Suche nach einem Weihnachtsgeschenk führte im Dezember viele Letten zur Bank. Euro-Starterkits waren der Renner unterm Weihnachtsbaum. Denn Ende letzten Jahres mussten sich die Menschen vom lettischen Lats verabschieden. Er habe zwei Starter-kits für seine Kinder gekauft, sagte ein Kunde. 14,23 Euro für 10 Lats. "Mich beunruhigt das neue Leben mit dem Euro schon. Aber mein Kollege hat gesagt: Wenn du kein Geld hast, spielt es sowieso keine Rolle, ob es lettische Lats oder Euro sind."

Am 1. Jänner ist Lettland als 18. Mitglied der Eurozone beigetreten. Der kleine Baltenstaat mit knapp zwei Millionen Einwohnern habe Ehrgeiz bewiesen und mit einem harten Sparkurs die Krise gemeistert, so Andris Stradz, leitender Volkswirt der Nordea Bank. Mit einem Wachstum von gut fünf Prozent liegt Lettland weit über dem Durchschnitt der Eurozone. Vom Wegfall der teuren Wechselkurse werde es weiter profitieren, meint der Experte.

Aus dem Staatsbankrott

Erst vor fünf Jahren stand Lettland kurz vor dem Staatsbankrott und musste bei der EU und dem Internationalen Währungsfonds Finanzspritzen beantragen. Fünf Jahre später hat sich die Wirtschaft dank eines strikten Sparkurses erholt. Mehr als die Hälfte aller Betriebe Lettlands exportieren inzwischen in die Euro-Staaten und mussten bislang hohe Gebühren für den Geldumtausch hinlegen. Eine große Rolle spiele bei der Euroeinführung aber auch die Psychologie, sagt Volkswirt Strazds: "Wir werden mit an dem Tisch sitzen, an dem über die Zukunft Europas entschieden wird."

Allerdings waren die Letten von der Einführung der neuen Währung nicht begeistert. Im Dezember sahen nur 40 Prozent den Euro positiv. Das habe sich mittlerweile geändert, sagt Ilva Pudule vom Marktforschungsinstitut TNS.

Seit die Menschen die neue Währung in den Händen hielten und mit ihr zahlen müssten, hätten sie eine positive Haltung zum Euro angenommen. Heute stimmen 52 Prozent der Letten dem Euro zu. "Eine Rolle spielt auch die Informationskampagne, mit der der Staat die Öffentlichkeit für den Euro gewinnen will", so Pudule.

Ivars Jonins ist Tag für Tag in den Geschäften unterwegs. Er ist einer von zahlreichen Kontrolleuren, die überall im Land durch die Läden ziehen und im Namen der Verbraucher die doppelte Auszeichnung in Lats und Euro überprüfen. Für seine Stichproben wählt Jonins an diesem Tag in einem Rigaer Supermarkt zehn Produkte aus. "Vor allem muss die Umrechnung von Lats in Euro korrekt sein", sagt er und zückt seinen Taschenrechner. "Hier stimmt alles."

Obwohl die Verbraucher die neue Währung besser annehmen als erwartet, sind einige nostalgisch. "Ich bin traurig, dass wir unsere eigene Währung verloren haben", sagt eine Kundin des Supermarktes. " Der Lats ist doch ein Symbol Lettlands gewesen. Wir haben ihn nur für kurze Zeit gehabt. Aber jetzt ist der Euro da, und ich werde mich schon dran gewöhnen." Sicher werde alles jetzt teurer werden, mischt sich eine andere Kundin ein. "Ich habe es aus Estland gehört, da war es auch so, mit dem Euro sind die Preise gestiegen."

Vom Rubel zum Euro

Nach seiner Unabhängigkeit 1991 hat Lettland den sowjetischen Rubel für kurze Zeit durch den lettischen Rubel ersetzt und erst 1993 die eigene Währung, den Lats, eingeführt. In den 1920erund 1930er-Jahren, unter sowjetisch-stalinistischer Herrschaft, prangte das Bild eines lettischen Bauernmädchens auf den Rubelscheinen. Dieses Mädchen war damals ein Symbol der Freiheit, erinnert sich Martins Gravitis von der lettischen Notenbank.

Bei der Einführung zum Euro wollte die Notenbank dieses Gefühl wiederbeleben, auch um einen Weg zu finden, skeptische Bürger vom Wert des Euro zu überzeugen. Und das, obwohl die Letten in einer Volksabstimmung 2003 nicht nur zum EU-Beitritt, sondern auch zum Euro Ja gesagt hatten.

Heute ist auf der Ein-und Zwei-Euro-Münze das Portrait des Bauernmädchens zu sehen. "Damit setzen wir fort, was für unsere lettische Identität immer wichtig gewesen ist", sagt Gravitis. Vierhundert Millionen neue Euro-Münzen sind seit dem ersten Jänner in Lettland in Umlauf gegangen. Neben den Ein-und Zwei-Euro-Münzen werden die Eurocents mit dem lettischen Wappen geschmückt. Neue Scheine wurden für das kleine Lettland nicht gedruckt, Lettland hat sie sich von den anderen Euro-Staaten geliehen.

Die ersten zwei Wochen im Jänner seien eine große Belastung gewesen, stöhnt Aiga Purmale, Kassiererin in einem Supermarkt. Denn 14 Tage lang durften die Leute sowohl mit Lats als auch Euro bezahlen, die Kassiererin gab nur Euro zurück. "Da bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen. Mal reichten meine Münzen nicht, mal kam ich mit den Währungen durcheinander. Jetzt ist alles gut."

Auch die Europäische Kommission zeigte sich zufrieden, als am 15. Jänner der Umlauf von-Lats in Lettland beendet war. Die Lats seien im Bargeldumlauf völlig durch Euro ersetzt worden und mittlerweile habe nahezu jeder Bürger nur noch Euro in seiner Geldbörse. Dem Geldumtausch bei den Banken wird allerdings keine zeitliche Begrenzung gesetzt.

Preissteigerungen

Eine leichte Preissteigerung lasse sich in Lettland allerdings nicht verhindern, das sagt auch Verbraucherschützer Ivars Jonins. Denn was im letzten Jahr noch einen Lats gekostet habe, also 1,42 Euro, koste nun 1,50 Euro. "Faire Euroeinführung" heißt die Gegen-Kampagne des lettischen Amts für Verbraucherschutz. Mehr als 4000 Einzelhändler haben sich verpflichtet.

Im Geschäft selbst werben sie mit Aufklebern um Vertrauen. In einem Laden für Kinderkleidung sagt eine Kundin, sie habe dieses Geschäft gewählt, weil es hinter der "fairen Euroeinführung" stehe. "Aber heute früh beim Arzt musste ich plötzlich einige Eurocent mehr zahlen, weil sie die einstige Lats-Summe einfach aufgerundet haben."

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