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Ungöttliche Komödie

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„Ich kann Ihnen mitteilen, daß die Königlich Schwedische Akademie den Nobelpreis in Literatur an Jean- Paul Sartre verliehen hat.“

Der Sekretär der Akademie, Doktor Karl-Ragnar Gierow, hat nervös, unsicher und mit leiser Stimme gesprochen.

Ich frage: „Hat Sartre die Annahme des Preises abgelehnt?“

„Die Schwedische Akademie hat keine Absage erhalten!“

„Hat denn die Akademie nicht einen Brief von Sartre bekommen?“ „Die Schwedische Akademie hat keinen Brief von Sartre bekommen.“ „Ja, hat denn der Direktor der Nobelstiftung, Stähle, nicht einen Brief von Sartre bekommen?“

„Ja, aber die Akademie hat keinen Brief erhalten.“

„Was steht denn in diesem Brief?“ „Aber mein Lieber, das ist doch ein Privatbrief!“

„Haben Sie den Brief gelesen?“ „Ja. Ich muß Sie jedoch daran erinnern, daß es innerhalb der Akademie sehr strenge Bestimmungen gibt, die es verbieten, etwas über die Diskussionen um den Nobelpreis mitzuteilen. Tue ich das, dann muß ich die Akademie verlassen!“

So fing es also an, und so ging es weiter. Zu diesem Zeitpunkt, als sich der unglückliche Sekretär der Schwedischen Akademie der Presse stellte, wußte bereits die ganze Welt, daß Sartre die Annahme des Nobelpreises abgelehnt hatte. Wir konn ten so manche eigentümliche Erscheinung nach Verleihung des Preises beobachten;, wie aber geht es eigentlich innerhalb der Akademie und der Nobelstiftung zu, bevor man sich über die Verleihung des Preises geeinigt hat?

Die Entscheidung der Akademie für Sartre kam nach Auffassung vieler Kritiker im Norden viel zu spät, und sie kam zu einem Zeitpunkt, an dem es für Sartre nahezu unmöglich geworden war, sie zu akzeptieren!

Bereits 1952 war Frangios Mauriac seinem eigenwilligen Landsmann vorgezogen worden, dessen erregende Darstellungen von der menschlichen Situation in der Gegenwart schon damals in der westlichen Welt lebhaft diskutiert wurden. 1957 stand abermals ein Franzose auf der Tagesordnung, doch die Akademie entschied sich für Camus, jenen Camus, der zu den Greueln in Alge- rieren geschwiegen, während Sartre protestiert hatte, und der sich nach der Preisverteilung in Uppsala durch eine Mauer von Botschaftsbeamten vor zudringlichen Fragern schützen ließ. 1960 zog die Akademie Saint- John Perse, den früheren Diplomaten, dem linksradikalen Philosophen und Schriftsteller vor; 1964 Sartre dennoch zu wählen, mag sachlich berechtigt gewesen sein, den politischen Charakter der früheren Entscheidungen konnte es nicht mehr verwischen!

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