Adieu, ihr schönen Worte!

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Vor 30 Jahren - am 17. Oktober 1973 - ist Ingeborg Bachmann in Rom gestorben. Ist es zuviel gesagt, wenn ich sie eine Prophetin nenne? Als Kind in Klagenfurt, so erzählt sie später, hörte sie vom Berg Sinai und sah dabei den Ulrichsberg. Es gehört zu den Uraufgaben der Prophetie, die immer fremde Botschaft Gottes von den Umklammerungen der Heimat und so den Berg der Tora Gottes vom Ulrichsberg, dem Berg einer Religion der Kriegsverklärung, zu unterscheiden.

Im Jahr 1957 schreibt Bachmann: "Unsere Gottheit, die Geschichte, hat uns ein Grab bestellt, aus dem es keine Auferstehung gibt." Vielleicht stehen ihre Gedichte dafür, dass sie sich damit selbst nicht abfinden wollte? Dass sie eine Sprache suchte für das Unsagbare, das nicht irgendein mystisch verklärtes esoterisches Geheimnis ist, sondern einfach die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse, bei der es einem heute noch die Rede verschlägt? Was bleibt denn noch an gültigen Worten? Wittgensteins Satz, dass Gott sich nicht in der Welt offenbare, ist für Bachmann einer der bittersten im gesamten "Tractatus". Sie führt gegen diese Bitterkeit immer wieder die Liebe ins Feld: "Erklär' mir, Liebe..." So kann sie in bester prophetischer Tradition ohne Verklärung der Realität ins Auge sehen.

Schließlich drängt prophetische Rede über das, was ist, hinaus und fragt nach dem, was kommt. Ihre nachgelassenen Gedichte beginnen mit einer Analyse unserer Gesellschaft, die sich für Ingeborg Bachmann unter dem Stichwort des Kapitals selbst richtet. Was soll kommen? "Es komme die Revolution", schreibt sie, "auch von meinem Herzen."

Für mich Gründe genug, sie eine Prophetin zu nennen.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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