Bischof als Sozialreformer

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Sie nannten ihn "Großvater Kretas“: Der prophetische Kirchenmann Irenaios Galanakis (1911-2013) galt schon zu Lebzeiten als Heiliger.

Landauf landab war er der "Pappoús tis Krítis - Großvater Kretas“. Am 30. April ist Irenaios Galanakis im 102. Lebensjahr verstorben, am 2. Mai, dem diesjährigen orthodoxen Gründonnerstag, wurde der emeritierte Metropolit von Kisamos und Selino unter großer öffentlicher Anteilnahme beigesetzt. Kein Kirchenmann Kretas war so populär, keiner so prophetisch in Wort und Tat. Keiner stand so sehr für ein sozial engagiertes Christentum und strafte diejenigen Lügen, die der orthodoxen Kirche gesellschaftspolitisches Potenzial absprachen. Die Aktivitäten des 1911 geborenen Theologen, der seit 1957 Bischof von Kisamos und Selino in Westkreta war, sind geradezu sozialrevolutionär zu nennen.

Wer etwa heute mit einer der großen Autofähren der ANEK Lines von Italien nach Griechenland oder von Piräus nach Kreta fährt, ahnt in den meisten Fällen kaum, dass die Schifffahrtslinie eine Gründung dieses Kirchenmannes darstellt: Kreta war bis in die 1960er Jahre ein verarmter Landstrich, dessen Menschen auf vielerlei Weise ausgebeutet wurden. Nur die Schiffe großer Reedereien vom Festland liefen die Insel an - oft zu Preisen, die sich normale Kreter nicht leisten konnten. Als Ende 1966 eine Fähre der Reederei Tipaldos wegen völlig unzureichender Ausrüstung sank und 241 Menschen den Tod fanden, kam es auf Kreta zu Unruhen. Metropolit Irenaios regte die über Volksaktien finanzierte Gründung der ANEK Lines an, der ersten kretischen Fährgesellschaft, bis zu seinem Tod fungierte er als ihr Aufsichtsratsvorsitzender. Auf diese Weise gelang es Irenaios, den Kretern so etwas wie wirtschaftliche "Würde“ zu verschaffen. Ähnliches gilt für die Gründung einer Entwicklungsgenossenschaft, die ein bekanntes Mineralwasser abfüllt und der Wirtschaft in Irenaios Galanakis’ unmittelbarer Heimat zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalf.

Der Metropolit setzte auch auf landwirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftspolitische Bildung. Er engagierte sich stark für die Bildung von Frauen insbesondere in den ländlichen Gebieten, und gründete noch 2001 die "Nationale Forschungsstiftung Eleftherias Venizelos“, die sich mit dem geistigen Erbe des aus Kreta stammenden griechischen Staatsmanns (1864-1936) auseinandersetzt.

Kein Wunder, dass die Aktivitäten des Metropoliten nach dem Obristenputsch 1967 als politisch verdächtig galten, Irenaios war einer der ganz wenigen Hierarchen, der in offener Opposition zur Junta (1967-74) stand. Kein Zufall daher, dass Irenaios 1971 als griechisch-orthodoxer Metropolit nach Deutschland geschickt wurde. Aber auch dort erweckte er die kleine Schar der Orthodoxen zu blühendem Leben. 1974 erreichte Irenaios Galanakis die staatliche Anerkennung der orthodoxen Kirche in Deutschland.

Als 1981 der Bischofssitz von Kisamos und Selino wieder vakant war, wollte das Volk die Wiedereinsetzung ihres früheren Metropoliten. Der Synod der kretischen Kirche hatte zwar einen anderen gewählt, doch eine aufgebrachte Menge tausender Gläubiger verhinderte dessen Inauguration, vernagelte die Türen der Kathedrale und forderte die Wahl Irenaios. Das Volk setzte sich durch, und Irenaios leitete die Metropolie, bis er 2005 seinen Rücktritt einreichte.

Die Orthodoxe Akademie Kreta

Eine Gründung von Metropolit Irenaios hinterlässt bis heute tiefe Spuren im geistigen Leben Kretas und weit darüber hinaus: Gemeinsam mit seinem Mitstreiter, dem heute 80-jährigen Alexandros Papaderos, etablierte Irenaios nach dem Modell der evangelischen Akademien in Deutschland die Orthodoxe Akademie Kreta. Die Akademie im westkretischen Kolymbara, die 1968 ihren Betrieb aufnahm, ist bis heute eine geistige Visitenkarte der Insel.

Die Institution hat sich von Anfang an dem Dialog verschreiben, nicht zuletzt jenem zwischen der Orthodoxie und den Westchristen. Auch das Gespräch der Orthodoxie mit der modernen Welt steht ebenso oben auf der Agenda wie das politische Gespräch - national wie international. Daneben engagiert sich auch die Akademie im Empowerment von Frauen - in der Gesellschaft wie in der männerdominierten Kirche. In Kooperation mit Mennoniten wurde an der Modernisierung landwirtschaftlicher Methoden gearbeitet. Und ein Institut für Theologie und Ökologie ist ebenfalls Teil der Akademie. Dass diese heute von der gebürtigen Grazerin Emanuela Larentzakis geleitet wird, ist ein kleines Zeichen dafür, dass die Orthodoxe Akademie Kreta seit jeher ausgezeichnete Verbindungen zu Österreich unterhält.

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