Kleine Rebellen im strengen Alltag

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Entgegen den gängigen Abrechnungen mit katholischer Erziehung erinnert der Soziologe Roland Girtler liebevoll an eine versunkene Welt: die Klosterschule.

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Entgegen den gängigen Abrechnungen mit katholischer Erziehung erinnert der Soziologe Roland Girtler liebevoll an eine versunkene Welt: die Klosterschule.

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Ich war immer ein schlechter Schüler", erzählt der Wiener Soziologe Roland Girtler: "Nur in Turnen und Religion hatte ich jedes Mal ein Sehr gut." Einige hätten ihn während seiner Schulzeit für einen Faulpelz und Nichtsnutz gehalten, berichtet er. Er selbst sieht den Zögling Girtler eher als kleinen Rebellen, der im strengen Rahmen der Klosterschule notwendige Gesten des Widerstandes setzte. Ob Lesen unter der Bettdecke, Streiche gegen Lehrer und Mitschüler oder heimliche Treffen mit Mädchen - es kam darauf an, sich kleinere oder größere Freiheiten herauszunehmen, um so das Leben in Klosterschule und Konvikt ein bisschen abenteuerlicher zu gestalten.

In seinem Buch "Die alte Klosterschule. Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen" blickt Roland Girtler auf seine Schulzeit in den fünfziger Jahren zurück. Ort des Geschehens: das Stiftsgymnasium Kremsmünster.

Blick in Abgeklärtheit Girtler verzichtet darauf, mit verstorbenen Lehrern oder einer in dieser Form nicht mehr existenten Bildungseinrichtung abzurechnen. Vielmehr unternimmt er eine Reise in die Vergangenheit. Die damaligen Verhältnisse werden dabei nicht beschönigt, fremdes und eigenes Fehlverhalten wird beim Namen genannt; trotzdem ist dieser Rückblick von Abgeklärtheit und viel, viel Sympathie bestimmt.

"Die alte Klosterschule reicht mit ihren Wurzeln bis in das Mittelalter hinein", so Girtler, "und sie geht in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zugrunde - zeitgleich mit der traditionellen bäuerlichen Kultur übrigens. Diese wird ja in der Folge immer mehr von Massentierhaltung abgelöst. Ich finde, zwischen diesen beiden Systemen - der Klosterschule und dem bäuerlichen Kultur - gibt es eine starke Verbindung, nämlich die Wertvorstellungen, die weitgehend die selben waren."

Beten und Arbeiten - diese beiden zentralen benediktinischen Elemente kannten viele der Klosterschüler schon aus der bäuerlich geprägten Kultur (wenn auch mit anderen Schwerpunktsetzungen). Im Stiftsgymnasium und im Internat prägten sie den Tagesablauf. Besonders in den unteren Klassen hat das heiligmäßige Leben der Mönche auf die Knaben eine große Faszination ausgeübt, erinnert sich Girtler.

Den wesentlichen Unterschied zwischen "weltlichen" Gymnasien und Klosterschulen beschreibt er so: "Charakteristisch für die Klosterschule war, dass die Patres als Professoren sich voll auf ihre Zöglinge konzentrieren konnten. Gegenüber den weltlichen Professoren waren sie nicht mit familiären und ähnlichen Problemen belastet, dies verschaffte ihnen die Möglichkeit der intensiven Befassung mit dem schulischen Weiterkommen der Studenten, die diese nicht immer als freudvoll erlebten." Die Grenzen zwischen Zuwendung und Kontrolle waren fließend, Disziplin stand hoch im Kurs.

So wurde etwa im Turnunterricht immer wieder das Marschieren geübt: "Wir erreichten eine derartige Könnerschaft im Marschieren, dass zumindest ich heute noch so marschieren könnte, wie der selige Herr Turnprofessor es verlangte", schreibt Girtler. Gerade unter dieser Hochschätzung der Disziplin habe er damals sehr gelitten, sagt er heute, gleichzeitig sei der Gedanke immer stärker geworden: "Ich gebe hier nicht auf." Girtler berichtet aber auch, was ihm solch militärisches Training gebracht hat: Als er während der Studienzeit auf der Suche nach einem Job ist, fragt man ihn, ob er marschieren könne. Er bejaht - und wird so zum Komparsen in einem Film mit Omar Sharif, in dem das Militär eine wichtige Rolle spielte.

Das Buch über die Klosterschule beschränkt sich jedoch nicht auf Anekdoten. Girtler, offenbar schon in jungen Jahren ein guter Beobachter, beschreibt eindrücklich Rituale in Schule und Konvikt, Prüfungen und Strafen ebenso wie gemeinsames Feiern oder die heißersehnten Besuche der Eltern. Auch große Ereignisse fanden in der kleinen Welt des Konviktes ihren Niederschlag: "An einen Festtag erinnere ich mich besonders, es war dies der 15. Mai 1955, nämlich der Tag des österreichischen Staatsvertrages [...] An diesem Tag kredenzte man uns bereits zum Frühstück eine große Torte, etwas für die damalige Zeit außerordentlich Großartiges. Zu Mittag gab es nicht nur einen herrlichen Braten mit einer prachtvollen Nachspeise, sondern für jeden auch eine kleine Flasche Frucade."

Auch wenn gemeinsames Feiern besonders in Erinnerung bleibt: Acht Jahre Stiftsgymnasium bestanden weitgehend aus Schule und Studierstunden, aus streng geregelten Tagesabläufen und zahlreichen Vorschriften.

Keine Privilegien "Die Klosterschule war einerseits furchtbar für mich", resümiert Girtler, "aber auf der anderen Seite auch unheimlich anregend. Durch sie habe ich nämlich gelernt, dass eine Gesellschaft, die viele Grenzen hat, auch sehr spannend sein kann. Außerdem habe ich erlebt, dass es in der Schule keine Standesunterschiede gab. Wenn zum Beispiel jemand aus einer adeligen Familie gekommen ist, dann hatte das keine Bedeutung. Wenn er ein schlechter Schüler war, dann mußte er im Fall des Falles die Klasse wiederholen - ebenso wie jeder andere. Es gab keine Privilegien."

Genau das, so findet Girtler im nachhinein, mit Gleichaltrigen ohne Standesunterschiede gemeinsam lernen, arbeiten und Freizeit gestalten zu müssen, sei eine sehr fruchtbare Erfahrung für Jugendliche. Er selbst hat sich in der Klosterschule fünf Tugenden angeeignet, schreibt der Autor abschließend: Mut, der stärkt, Heiterkeit, die beflügelt, Geduld, die Ruhe gibt, Großzügigkeit, die das Herz öffnet und einen rebellischen Geist, der Freude macht.

Die Autorin ist Religionsjournalistin im ORF-Radio.

Die alte Klosterschule. Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen.

Von Roland Girtler. Böhlau Verlag, Wien 2000. 296 Seiten mit 21 SW-Abb., geb. öS 298,-/e 21,66

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