Laut denken, hoffen, klagen in sprachloser Zeit

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Sie passte in kein Klischee: Als protestantische Theologin redete sie der Mystik das Wort, als Fortschrittsgläubigkeit noch weithin grassierte und der Zeitgeist wenig anfangen konnte mit religiösen Gefühlen und Erfahrungen außerhalb der Ratio. Als Frau und politisch Wache widersetzte sie sich der Staats- und Kirchenräson und predigte Widerstand. Die Verbindung beider- Mystik und Widerstand - benennt nicht nur Dorothee Sölles theologisches Hauptwerk, sondern war ihr Markenzeichen, das sich in jedem ihrer Worte und Zeichen widerspiegelte. Durch diesen Zugang war Sölle das deutschsprachige Pendant zu den - katholischen - Befreiungstheologen Lateinamerikas, die ebenfalls ein mystisch-politisches Christentum konkret werden ließen.

Die 1929 in Köln Geborene studierte Theologie, Literaturwissenschaft und Philosophie. Ihr "linkes" Engagement - etwa in den "Politischen Nachtgebeten" gegen die atomare Aufrüstung Ende der 60-er Jahre -, aber auch Anlehnungen an die Gott-ist-tot-Theologie ("Stellvertretung - Ein Kapitel Theologie nach dem Tode Gottes", 1965; "Atheistisch an Gott glauben", 1968) machten sie im betulichen Theologie- und Kirchenbetrieb unmöglich. Sölles universitäre Laufbahn führte sie daher von 1975 bis 1987 als Professorin für Systematische Theologie ans Union Theological Seminary nach New York. Trotz der "Emigration" aus Deutschland wurde sie in diesen Jahren zu einer der wichtigsten theologischen Stimmen im deutschsprachigen Raum: feministisch wie ökologisch geprägt, den zivilen Ungehorsam als Christin propagierend, aber dennoch nicht leicht in theologische und politische Schubladen einzuordnen. Eine Frau, im Gespräch mit der Welt, den Religionen, den Christen unterschiedlicher Konfession. Auch ihre Ehe mit dem katholischen Religionspädagogen und Schriftsteller Fulbert Steffensky befruchtete dieses Gespräch.

vergleiche ihn ruhig mit anderen größen / sokrates / rosa luxemburg / gandhi / er hält das aus / besser ist allerdings / du vergleichst ihn / mit dir. So lauten einige Zeilen eines ihrer Gedichte über Jesus von Nazaret.

Sölles Wirkung auf breite Kreise im deutschsprachigen Raum beruht auf solcher Wortgewalt, die sie in Texten, Gedichten, Reden zum Ausdruck brachte. In sprachloser Zeit laut zu denken, zu hoffen und zu klagen, und als die Beter verstummt waren, dem Gebet wieder einen Ort im Leben von Menschen zu verschaffen - dies wird bleiben von der "Theopoetin", der von Gott Sprechenden, die letzten Sonntag nach einem Seminar über "Gott und das Glück", das sie gemeinsam mit Fulbert Steffensky in der Evangelischen Akademie Bad Boll geleitet hatte, einem Herzinfarkt erlegen ist. ofri

Siehe auch das Zeitgespräch auf Seite 11.

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