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Margarethe Ottillinger (1919-92), Frau der österreichischen Wirtschaft und engagierte Christin: Ingeborg Schödls Porträt einer fast vergessenen Zeitzeugin.

Einer der spektakulärsten Fälle stalinistischen Terrors im besetzten Österreich: 5. November 1948, Ennsbrücke, Zonengrenze zwischen amerikanischer und sowjetischer Besatzungszone. Aus dem Wagen des Bundesministers für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, Peter Krauland, heraus wird seine erst 29-jährige Spitzenbeamtin Margarethe Ottillinger verhaftet und später in die Sowjetunion verschleppt, wo sie in der unvorstellbaren Grausamkeit der Gulags bis 1955 festgehalten wird. Der Grund: angebliche Spionage für die USA.

Die Journalistin Ingeborg Schödl, die sich in den letzten Jahren wiederholt mit den Frauen-Biografien in der österreichischen Kirche auseinandergesetzt hat ("Zwischen Politik und Kirche - Hildegard Burjan", 2000; "Gottes starke Töchter - 12 Frauen in der Kirche von heute", 1998), ist dem Schicksal der Margarethe Ottillinger nachgegangen. Schödls Spurensuche, die unter dem Titel "Im Fadenkreuz der Macht" erschienen ist, ergibt ein schillerndes Bild einer starken Frau zwischen Macht, tiefem Fall, Wiederaufstieg - und das alles eingebettet in eine immer größere Nähe zu Christentum und Kirche.

Bis heute liegen Hintergründe des Falles Ottillinger im Dunkeln: Tatsache ist, so Schödl, dass der rasante Aufstieg der jungen Handelswissenschafterin zu einer mächtigen Beamtin in den ersten Nachkriegsjahren viel Missgunst hervorruft. Es muss von österreichischer Seite Denunziation und Vernaderung Ottillingers bei den Sowjetbehörden gegeben haben. Wie grausam die Besatzungsmacht mit der "Delinquentin" verfährt, rekonstruiert Schödl beklemmend; aber - trotz der Öffnung sowjetischer Archive in den 90er Jahren - kann die Autorin österreichische Hintermänner der Entführung Ottillingers nicht namhaft machen. Außerdem geht es Ingeborg Schödl in erster Linie gar nicht um eine "Aufdeckung" des Falles Ottillinger.

Denn nach der wirklich bedrückenden Schilderung der Sowjetlager-Zeit beschreibt Schödl den Neuanfang von Margarethe Ottillinger in Österreich: Sie wird Vorstandsdirektorin in der ÖMV und trägt wesentlich zum Aufstieg des staatlichen Öl-Unternehmens bei, bis sie 1982 durch eine neuerliche Intrige aus den Reihen der ÖVP in den Ruhestand bugsiert wird.

In sowjetischen Gefangenschaft entwickelt sich auch das religiöse Sensorium Ottillingers, nach ihrer Rückkehr setzt sie sich als "Powerfrau" nicht nur in der ÖMV durch, sondern stellt auch in der Männerdomäne der katholischen Kirche ihre Frau: Sie wird eine enge Beraterin von Kardinal König und verschafft - aufgrund ihrer Tätigkeit in der Wirtschaft und ihrer Kontakte zu den Sozialpartnern - kirchlichen Projekten finanzielle Unterstützung. Schödl schildert, wie sich Ottillinger da für die Gründung des Afro-asiatischen Institutes (AAI) in Wien einsetzt - und dafür die Finanzen auftreibt. Sprechend das Beispiel eines Aktenvermerkes über die Arbeiten des AAI, den Schödl zitiert: "... alle unangenehmen Dinge werden als Sache Ottillinger deklariert..."

Powerfrau - das macht Schödls Buch auf Schritt und Tritt klar - ist aber kein einfaches Lebenskonzept: Ottillingers Elan wird - in der ÖMV wie in der Kirche - auch als Unerbittlichkeit, Intoleranz oder gar als Sturheit wahrgenommen. Schödl spart diese Facetten der Person Ottillinger nicht aus, auch wenn ihr Zugang zur Protagonistin von tiefer Empathie getragen ist.

So kommt es auch, wie Schödl schreibt, zu zeitweiliger Entfremdung mit Kardinal König, der dem Tatendrang Ottillingers seine ihm eigene Vorsicht entgegensetzt: Ottillinger verlässt enttäuscht das AAI-Kuratorium - aber nicht ohne sich ins nächste Projekt zu stürzen: Sie will in Mauerbach bei Wien einen Karmel gründen und steckt hinter dem Plan, dass der - agnostische - Bildhauer Fritz Wotruba dafür die Kirche entwerfen soll.

Die Wotruba-Kirche

Den folgenden Entrüstungssturm des konservativ-katholischen Österreich und die knieweiche Unterstützung durch die Wiener Diözesanleitung hält Ottillinger aus. Das Projekt in Mauerbach stirbt, nicht aber die Kirche von Friedrich Wotruba: Die monumentale Kirchen-"Skulptur" wird 1976 am Georgenberg in Wien-Mauer verwirklicht. Nur wenige wissen heute, dass die Lebensenergie der Margarethe Ottillinger hinter derVerwirklichung des immer noch revolutionären Sakralbaus im Süden von Wien steckt.

Trotz Krankheit bleibt Margarethe Ottillinger bis zu ihrem Tod 1992 aktiv: Sie engagiert sich für die österreichisch-chinesische Verständigung und unterstützt noch 1992 in Albanien die eben beginnende Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft. Inzwischen tritt Ottillinger in den dritten Orden der Servitinnen ein: Als "Ordensfrau" wird sie in Mauer - nicht weit weg von "ihrer" Wotruba-Kirche - begraben.

Ingeborg Schödl ist ein einfühlsames Porträt Margarethe Ottillingers gelungen. Man kann es der Autorin und ihrem Verlag nicht hoch genug anrechnen, dass sie mit diesem Buch eine wichtige Zeugin der (kirchlichen) Zeitgeschichte dem Vergessen entreißen.

IM FADENKREUZ DER MACHT

Das außergewöhnliche Leben der Margarethe Ottillinger

Von Ingeborg Schödl. Czernin Verlag, Wien 2004. 192 Seiten, geb., e 23,-

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