Werbung
Werbung
Werbung

Die "Plattform Christen und Muslime" und der Alpenverein riefen zum "Kipferlsturm".

Es ist der 7. September 2006, kurz vor der Nationalratswahl. Die Spitzenkandidaten von SPÖ und BZÖ, Alfred Gusenbauer und Peter Westenthaler sitzen sich gegenüber, viele Österreicher sitzen vor ihren Bildschirmen und schauen ihnen zu. Westenthaler hat ein Ass im Ärmel - meint er. Als es um Migration geht, zitiert er aus einem Brief des Vizepräsidenten des Österreichischen Alpenvereins Andreas Ermacora an den Wiener SPÖ-Gemeinderat Omar Al-Rawi. Der strittige Inhalt: Al-Rawi habe in einem früheren Schreiben die Gipfelkreuze auf Österreichs Bergen als "Herrschaftszeichen des Christentums" bezeichnet, Ermacora ihm daraufhin angeboten, eine muslimische Sektion im Alpenverein einzurichten und ein gemeinsam bestimmtes Gipfelkreuz durch einen Halbmond zu ersetzen. Zwei Tage später ist klar: Westenthaler hat sich selbst ins Knie geschossen. Der Brief stellt sich als Fälschung heraus. Eine Künstlergruppe namens "Haben wir denn keine anderen Sorgen" wollte, so stellt sie später in einem Kommunique auf der Webseite des Nachrichtenmagazins DATUM klar, ausloten, "wie weit populistische Politiker gehen." Der Brief sei schon drei Monate vorher abgeschickt worden, nicht nur an Westenthaler, sondern auch an FPÖ-Chef H. C. Strache und an Kronen-Zeitung-Herausgeber Hans Dichand. Westenthaler war allerdings der einzige, der auch damit an die Öffentlichkeit ging. Noch skurriler wurde die Causa, als Westenthaler auch nachdem sich die Künstlergruppe zu dem Schreiben bekannt hatte, auf dessen Echtheit bestand und sowohl gegen Al-Rawi als auch gegen den Alpenverein vor Gericht ging.

Erinnerung an Fehltritt

Um an diesen denkwürdigen Fehltritt auf ironische Weise zu erinnern, riefen am vergangenen Samstag die "Plattform Christen und Muslime" und der Alpenverein zum "Kipferlsturm" auf den Peilstein im Wienerwald auf. Vertreter beider Glaubensgemeinschaften wollten die Gelegenheit nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen und das gute Verhältnis zueinander zu demonstrieren. Mit dabei waren auch die beiden Protagonisten aus dem gefälschten Brief: Andreas Ermacora und Omar Al-Rawi.

Auf einer stolzen Seehöhe von 716 Metern steht das Gipfelkreuz auf dem Peilstein. Davor war für die etwa 40 Mitgereisten eine eineinhalbstündige Wanderung über Wiesen und durch Waldstücke bei sommerlicher Hitze zu bewältigen. Ganz nach dem Motto: Gemeinsames Schwitzen verbindet. In zwei kurzen Pausen wurden Texte vorgetragen, während die Mitreisenden Gelegenheit zur Regeneration hatten.

Am Gipfel gab es dann auch tatsächlich Halbmonde, wenn auch nur in der Form von Kipferln, die an alle Anwesenden verteilt wurden, während sich die Initiatoren der Aktion am Gipfelkreuz zu Wort meldeten. "Wir sind alle Monotheisten. Wir glauben an einen Gott, auch wenn wir ihn uns manchmal etwas unterschiedlich vorstellen", wies zunächst der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Shakfeh auf seine Sicht der Beziehung zwischen Muslimen und Christen hin. "Diese Wanderung ist ein Beweis dafür, dass die Menschen, wenn sie guten Willens sind, immer zueinanderfinden können." Heinz Nußbaumer, Mit-Initiator der Plattform Christen und Muslimen sowie Herausgeber der Furche, sprach anschließend von einer "christlich-muslimischen Fanzone" in dem Sinn, dass in einer solchen Menschen ungeachtet ihrer persönlichen Prägungen miteinander feierten. Das Besondere am gemeinsamen Aufstieg auf den Peilstein sei eben diese persönliche Nähe ohne jegliche Ängste, Stereotypen oder Vorurteile. Der Name "Plattform Christen und Muslime" sei richtig und falsch zugleich, so Nußbaumer weiter. "Religion darf nie exklusiv, ausschließend oder abgrenzend sein." Jeder, egal ob er seine Religion lebe oder nicht, solle als gleichberechtigter Bürger akzeptiert werden.

Und schließlich durften auch die falschen Urheber des anlassgebenden Briefs aus dem Wahlkampf 2006, Omar Al-Rawi und Andreas Ermacora, zu Wort kommen, die sich am Peilstein erstmals persönlich kennenlernten. "Für mich persönlich war diese ganze Aktion nicht so lustig", erzählte Ermacora. Der Alpenverein und auch er selbst seien plötzlich unerwünscht mitten im Wahlkampf involviert gewesen. "Wir wollen uns nicht in politisches Kleinscharmützel hineinziehen lassen. Wie es ausgegangen ist, wissen wir: Der einzige, der dabei verloren hat, war der Herr Westenthaler."

Der interreligiöse Dialog schien über weite Strecken, mit Ausnahme derer, die für eine Unterhaltung entweder zu steil oder zu schmal waren, gut zu funktionieren. Zwar waren die Teilnehmer größtenteils ohnehin schon vorher miteinander bekannt, aber in erster Linie hatte die Aktion sowieso das Ziel, öffentlich Gemeinsamkeit zu zeigen. Am Gipfel angelangt gesellte sich übrigens noch ein weiterer Beteiligter der Halbmond-Affäre zu den Wanderern. Der Journalist Gerd Millmann, der sich als einer der Verfasser des gefälschten Briefs bekannt hat, beobachtete das Geschehen unauffällig. "Eine lustige Idee, eine gelungene Veranstaltung" war der Kipferlsturm für ihn. Auch ihm droht mittlerweile ein Verfahren gegen Westenthaler. Dieser will nämlich vor Gericht erreichen, dass Millmann für seine Anwaltskosten in den anderen beiden Verfahren aufkommen muss. "Ich habe keinen Streit mit dem Herrn Westenthaler. Er hat scheinbar einen mit mir", so Millmann gelassen.

Streit hält an

Das Verfahren Westenthaler gegen Al-Rawi endete übrigens in einem Vergleich. Das Geld, das Al-Rawi zugesprochen wurde, kam einem muslimischen Kinderchor zu Gute. Mit dem Alpenverein streitet Westenthaler nach wie vor. Zwar wurde im Februar am Handelsgericht Wien entschieden, dass Westenthaler seine Aussagen widerrufen müsse, dieser hat jedoch gegen das Urteil berufen. Und auch die Reaktion des BZÖ auf den "Kipferlsturm" ließ nicht lange auf sich warten. Geschäftsführer Gerald Grosz attackierte am Sonntag in einer Presseaussendung den Alpenverein. Mit einer solchen Aktion verkenne dieser die "Gefahren eines expansiven Islamismus für Österreich und Europa" und mache "die berechtigten Ängste und Sorgen der österreichischen Bevölkerung lächerlich … Allein die gewalttätigen Ausschreitungen nach dem Spiel Türkei-Kroatien sollen für die blindesten und dümmsten Gutmenschen ein warnendes Signal sein", so Grosz.

Angesichts dieser Reaktion wäre auch jene auf eine Idee, die beim "Kipferlsturm" für viel Gelächter in der Runde gesorgt hat, interessant. Es wurde vorgeschlagen, die Urkunde, die alle Mitreisenden erhielten, auch Herrn Westenthaler zukommen zu lassen. Der Inhalt: Man habe sich auf dem Peilstein davon überzeugen können, "dass sich das Kreuz auf dem Berggipfel keineswegs verwandelt hat, dass aber Kipferln für einen interreligiösen Imbiss bestens geeignet sind".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung