Wenn das Haus des Nachbarn brennt

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Das Erinnern an die innere Kraft dieser zehn Glaubenszeugen befreit aus den Sachzwängen einer nüchtern berechnenden Logik.

Einer der persönlichsten Momente in diesem Buch spielt am Innsbrucker Domplatz: "Von meinen Vorgängern Paulus Rusch, Reinhold Stecher und Alois Kothgasser habe ich auch die Brille übernommen, die so etwas wie das Markenzeichen des seligen Otto Neururer ist", schreibt der Linzer Bischof Manfred Scheuer in seiner Meditation über den Märtyrerpriester Otto Neururer. Dieser hatte selbst als Kooperator fast 100 Jahre zuvor am Innsbrucker Domplatz gewohnt. Plötzlich berühren sich da über die Jahrzehnte hinweg die Schicksale, und Neururers Brille wird zum Symbol für ein anderes, tieferes Sehen, das sich aus der Botschaft des Evangeliums speist: "Er war zutiefst von der Güte der Menschen überzeugt", wird ein Mithäftling über Neururer sagen, der im KZ Buchenwald grausam zu Tode gefoltert wurde.

Es sind Sätze wie diese, die einen in diesem Buch immer wieder innehalten lassen: "Inmitten des fürcherlichen Elends erstand hier - im Frauenlager von Auschwitz - eine Insel der Zärtlichkeit und Freundschaft." Eine Insel, deren Existenz sich allein dem Glauben und der Liebe von Sr. Angela Autsch aus Mötz verdankte. Was aber ist das für eine Kraft, die solches mitten in der Hölle von Auschwitz zu schaffen vermag?

Einstehen für das, was man liebt!

Anhand des Schicksals von zehn Märtyrern, darunter Sr. Angela als einziger Frau, geht Bischof Scheuer jeweils der Frage nach, welche Widerstandskraft diese Menschen angetrieben hat. Nach einem kurzen Porträt, in dem die wesentlichen Lebensstationen vorgestellt werden, folgen Scheuers ebenfalls sehr kurze, aber äußerst dichte Betrachtungen. Anlass zur Entstehung der Texte, die nun in dem neuen Band gesammelt vorliegen, waren diverse Gedenkfeiern. Die Erinnerung an christliche Blutzeugen ist für Scheuer immer auch verbunden mit Trauer und Scham, da das Blutzeugnis der Einzelnen auch an das Versagen der Kirche in der damaligen Zeit erinnert.

Scheuer geht es nicht ums selbstgerechte Urteilen, für ihn wird das Gedenken zur Anfrage, es dient der Läuterung, denn die Bosheit schleicht sich auch heute in unser Denken ein. Und immer geht es dem Autor darum, nach der Botschaft dieser Glaubenszeugen fürs Heute zu fragen. Insofern ist der Titel "Kraft zum Widerstand" fast ein wenig zu kurz gegriffen, es geht vielmehr um die Kraft zum Zeugnis.

Das Zeugnis beinhaltet für Scheuer aber ein dreifaches Zeugen:dasAufzeigendessen,wasman liebt; das Mitziehen anderer und zuletzt: das Zeugen als schöpferisches Neuschaffen.

Was nun das Mitziehen betrifft, hätte das Buch sicher ansprechender und verständlicher gestaltet werden können: Die Biografien dieser beeindruckenden Zeugen sind äußerst kurz geraten und die knappe und akademische Sprache erfordert vom Leser hohe Konzentration, zumal Zitate oft gar nicht eingeführt werden, was ein umständliches Blättern erfordert, wenn man wissen möchte, wessen Gedanken gerade zitiert werden.

Das ist schade, denn das schöpferische Neuschaffen, das Sichansprechen-Lassen durch diese Biografien weiß Scheuer umso eindrucksvoller zu vermitteln, immer führt er auf die grundlegende Frage zurück, auf die Entscheidung zwischen Gleichgültigkeit und Mitmenschlichkeit: Mit welcher Brille schauen wir das Leben an?"Es geht auch um deine Sache, wenn das Haus des Nachbarn brennt!"

Wozu erinnern?

Wozu also erinnern? Scheuer verweist auf Bonhoeffer: "Die Güter der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Schönheit brauchen Gedächtnis oder sie degenerieren." Als hellhöriger Zeitgenosse und langjähriger Caritas-Bischof weiß Scheuer um die degenerierenden Tendenzen in unserer Gesellschaft. Das Erinnern an die innere Kraft dieser Zeugen befreit aus den Sachzwängen einer nüchtern berechnenden Logik. Es protestiert dort, wo die Würde des Menschen auf dem Spiel steht. Und es erinnert an die Zumutung des Glaubens, dass wir einander aufgetragen sind, füreinander sorgen sollen, dass wir nicht stumm bleiben, wenn die Stimme fragt: "Kain, wo ist dein Bruder Abel?"

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