Zunehmend schlechteres Ahnen

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"Es gibt kein soziales Europa", werde ich von meinem Gesprächspartner brüsk gestoppt. Er habe das auch schon den Leuten von der Furche hinsichtlich deren optimistischer Artikel gesagt. Er, ein pensionierter Bauarbeiter, bringt zu unseren Gesprächen Artikel aus dem Standard mit, voll mit seinen Anmerkungen, und stellt mir kritische Fragen zu Ö1-Sendungen, deren Mitschnitte er sich wieder und wieder angehört hatte. Schnitt. Nein, er wisse nicht so genau, was "Gerechtigkeit" in der Wirtschaft bedeute, provoziert ein Spitzenbanker unseres Landes bei einer einschlägigen Podiumsdiskussion. Aber es mache ihm Sorgen, dass es immer mehr Verlierer gebe. Und da sei wahrscheinlich nichts zu machen. Schnitt. Ob er glaube, dass das alles noch durchsetzbar ist, fragen Studenten eines Seminars an der Wirtschaftsuni Josef Riegler nach dessen Gastreferat über die ökosoziale Marktwirtschaft und den Global Marshall Plan skeptisch. Schnitt. Ich mag Skepsis hinsichtlich der Durchsetzbarkeit optimistischer Gedanken nicht und gebe mit meinem Idealismus gerne und manchmal zu rasch kontra.

In letzter Zeit allerdings zunehmend gegen schlechteres Ahnen. Vor allem hinsichtlich der immer wieder beschworenen "sozialen Marktwirtschaft". Wurde sie nicht doch - gesellschaftspolitische Konzepte und Visionen hin oder her - vom Kapitalismus einfach so lange erlaubt, als man sich vor dem Kommunismus fürchtete? Und jetzt ist es eben vorbei mit dem Fürchten. Jetzt, wo man auch nicht mehr wie seinerzeit besorgt sein muss, dass "starke Arme die Räder still stehen" lassen könnten. Diese "Arme" sind längst mit dem Verteidigen der Arbeitsplätze beschäftigt, weil man draußen nur mehr zu den Überflüssigen ohne politische Lobby gehört. Die Reden der Politiker Europas kommen mir langsam auch eher wie lautes Singen im dunklen Wald vor.

Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger.

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