Brauch und Gebrauch

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Palmbuschen sind nicht nur schön anzusehen. In Ihnen steckt altes Überlebenswissen.

Jedes Jahr werden am Palmsonntag in ganz Österreich Palmbuschen oder Palmstecken geweiht. Die liebevoll gestalteten Buschen werden von den meisten Menschen nur mehr als eine schöne Zier wahrgenommen, die der Ausschmückung des kirchlichen Festtages diene. Früher hatten Osterbräuche eine andere Wertschätzung. Denn tatsächlich steckt in den Osterbräuchen überliefertes Gebrauchswissen. So stellen alle in den Palmbuschen verwendeten Pflanzenarten - wenn vereinzelt auch stark giftig geltend - wertvolle, alte Heilpflanzen dar. Nach den überwundenen Wintertagen dankte man den Schöpfungsmächten in Form von Umzügen mit den Überresten der symbolisch aufgebundenen Heil- und Futterpflanzen.

Die geweihten Palmbuschen wurden zuhause in der Stube hinter dem Kruzifix oder der Weihbrunnschale, unter dem Dach, im Stall, Kornspeicher, Bienen- und Dörrhütte oder zerteilt in verschiedenen Räumen aufgesteckt, um vor Unbilden, wie Krankheiten, Blitzschlag, Hausbrand, Krieg und so fort zu schützen. Oder man stellte die Palmstangen auf die wichtigsten Äcker und Wiesen, damit dort die Erträge gesichert waren und keine Einbußen durch Naturgewalten auftraten. Manchmal beobachtet man die aufgestellten Buschen auch am Friedhof, in Gärten oder Bauerngärten.

Über Dämonen und Viren

Buchs, Wacholder, Sade- und Lebensbaum etwa würden - so glaubten die Menschen früher - Dämonen fernhalten. Heute wissen wir, dass diese ausdünstenden Pflanzen tatsächlich vor Krankheiten schützen können, indem sie gesundheitsbedenkliche Bakterien und Viren aus den Räumen verdrängen. Auch die Räucherungen von Haus und Stall mit allen beteiligten Kräutern verfolgten dieselben Absichten. Zum Schutze vor Blitzschlag wurde vor einem aufziehenden Gewitter ein Zweiglein des Palmbuschens im Ofen verbrannt. Auch dahinter steckt eine Erfahrung, welche meiner Vermutung nach wissenschaftlich belegt werden kann, da der aufziehende Rauch im Kamin das Eindringen des Blitzes in das Gebäude verhindern hilft. Im Winter gewann man durch Auszüge aus Weiderinde die Salizylsäureverbindungen, um Mittel gegen Grippe, Migräne, Kopf- und Halsschmerzen, Sodbrennen und bei starken Verkühlungen zu haben.

Die Wertschätzung der Palmkätzchen in den Osterbräuchen hat seine ursprüngliche Bedeutung in der Nutzung als heilwirksames Würzmittel. Sie wurden getrocknet, pulverisiert und zum Strecken der Nahrung eingemischt. Frisch verwendet und fein gehackt streute man sie auf den Salat. Symbolisch ist die Heilwirkung der essbaren Palmkätzchen österreichweit im Brauch des "Schluckens von Palmkätzchen" noch verankert. Zudem liefern die blühenden Kätzchen den ausfliegenden Bienen wertvolle Tracht und die Abwehrstoffe, welche sie in den ersten Frühlingstagen zur Erstarkung benötigen.

Und ein Kaltauszug aus den Zweigrinden der Traubenkirsche half dem Krebs vorzubeugen. Die bittere und blausäurehältige Rinde wurde zu diesem Zwecke auch gekaut. Die Traubenkirsche kann als eine der ältesten Wildobstarten in unseren Breiten angesehen werden. Das Eichenlaub steht symbolisch für die einstige Gesundhaltung des Viehs mittels Laubfutter und für die stärkereichen Eicheln, aus denen man früher viele Speisen herstellte, welche wir heute aus dem Getreide zubereiten. Die Hasel versinnbildlicht alle Belange der Fruchtbarkeit. Wacholderreisig gilt heute noch als ein allumfassendes Heil- und Räuchermittel. Blätter und Früchte der Preiselbeere verwendet man bei grippalen Erkrankungen.

Auch die roten Beeren und Blätter der Stechpalme wurden verwendet - trotz der hohen Giftigkeit ihrer Wirkstoffe (Rutin). Bereits zwanzig Beeren können bei einem Erwachsenen zum Tod führen. Jedoch bereitete man früher aus den bestachelten Blättern bei fiebrigen Erkältungen, Brustfellentzündungen, Arterienverkalkung, Masern, Gicht oder Rheuma einen Tee. Dieser wirkt harn- und schweißtreibend. Umschläge aus zerstoßenen Blättern und Rinde helfen bei Knochenbrüchen und Verstauchungen. Die Blätter wirken gegen Gelbsucht, mit Zucker eingekochte Früchte gegen Seitenstechen und frische Beeren als Spezifikum gegen Epilepsie. Dem Vieh wurden kleingeschnittene Blätter ab November unter das Futter gemischt.

Wissen, das verloren geht

Die näheren Gebräuche kennen wir nur mehr vage und können heute dazu nur mehr Vermutungen anstrengen. Alle in den Osterbräuchen beteiligten Pflanzen haben einen Gebrauchszusammenhang, seien es die unmittelbare Verwendungen für heilwirksame oder abführende Tees, sei es gegen Erkältungen, sei es zum Ausräuchern stickiger Räume oder sei es in der Tierheilkunde.

In einer Zeit, in der sehr viel Wissen verloren geht, wäre es notwendig, sich wieder vermehrt des alten Überlebenswissens anzunehmen, damit es modifiziert auch für die Nachkommen anwendbar bleibt. Bräuche entstammen dem Gebrauchswissen. Sie bleiben über dem Gebrauch des Fachwissens lebendig und verfallen somit nicht zum Kitsch.

Der Autor lebt als Landschaftsökologe, Wanderforscher & Bauer in einem Mölltaler Bergdorf und befasst sich mit altem bäuerlichen Gebrauchswissen.

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